Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Van der Bellens Anstoß

Vorarlberg / 27.01.2023 • 22:02 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Man stelle sich vor, er hätte erwogen, erstmals nach einer Nationalratswahl nicht zuerst den Obmann der stimmenstärksten Partei mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen, schreibt Norbert Hofer, freiheitlicher Präsidentschaftskandidat 2016, auf Twitter. Was er damit sagen möchte: Es hätte einen Aufschrei gegeben.

Sehr wahrscheinlich ist das richtig. Im Falle des amtierenden Staatsoberhauptes sind die Reaktionen gespalten: In einem ORF-Interview hat Alexander Van der Bellen FPÖ-Chef Herbert Kickl diese Woche wissen lassen, dass er nicht automatisch einen Regierungsbildungsauftrag erhalte, wenn er seine Partei auf Platz eins führt. Freiheitliche schäumen.

Viele andere sind verwundert: Politisch-taktisch sei dumm, was Van der Bellen hier ausgelöst habe. Kickl und Co. könnten sich mehr denn je als „Antisystemvertreter“ inszenieren, die vom „Establishment“ ausgegrenzt werden. Schon bei der Niederösterreich-Wahl könnte ihnen das noch mehr Protestwähler bescheren.

In Wirklichkeit könnte man Van der Bellens Aussagen auch so interpretieren: Er hat einen Kanzler Kickl nicht ausgeschlossen, insbesondere aber in der Rede nach seiner Angelobung am Donnerstag Prinzipien genannt, die relevant sind für ihn: „Die Mitgliedschaft bei der Europäischen Union steht nicht zur Debatte.“ Heißt umgekehrt: Er stellt sich jedem in den Weg, der mit einem „Öxit“ spielt. „Die Grund- und Freiheitsrechte, die Menschenrechte, die Minderheitenrechte sind unantastbar.“ Wer daran rüttelt, macht sich ebenfalls zu seinem Gegner.

Wo ist das Problem? Kickl sollte diesem Katalog gerecht werden können. Zweitens: Es passt zum Amtsverständnis eines aktiven Präsidenten, nicht nur als Grüßaugust protokollarische Aufgaben zu erfüllen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen zu agieren. Drittens: Das Staatsoberhaupt ist direkt gewählt, verfügt über eine sehr große Legitimation. Auch aufgrund der Anzahl der Stimmen. Van der Bellen erhielt beim jüngsten Urnengang 2,3 Millionen. Zum Vergleich: Bei der Nationalratswahl 2019 kam die neue Volkspartei als klare Gewinnerin „nur“ auf 1,8 Millionen. Das stärkt den Bundespräsidenten. Viertens: Er könnte den Regierungsbildungsauftrag fast jedem erwachsenen Österreicher geben.

Fünftens: Dabei gibt es jedoch Grenzen. Er muss den Nationalrat im Auge haben. Wird Van der Bellen von dort von einer Mehrheit signalisiert, dass Prinzipien, die er sieht, ignoriert werden und nach einem entsprechenden Wahlergebnis unter allen Umständen Kickl Kanzler werden solle, wird er einen solchen letzten Endes kaum verhindern können.

Wichtig wäre es vor diesem Hintergrund, seine Aussagen als Anstoß zu nehmen: Wie halten es Freiheitliche zum Beispiel mit Menschenrechten für die Schwächsten, die am meisten darauf angewiesen sind? Wie tun es Türkise und Sozialdemokraten? Wie weit würden sie für eine Beteiligung an der Macht davon abweichen? Das Problem ist, dass es hier zwar um fundamentale Fragen geht, es diesbezüglich aber viel zu viele Ungewissheiten gibt.

„Wie halten es Freiheitliche, aber auch Türkise und Rote mit Menschenrechten? Wie weit würden sie für Macht davon abweichen?“

Johannes Huber

johannes.huber@vn.at

Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.