Großprojekte mit der Schweiz

Eine sachdienliche Erinnerung von Historiker Meinrad Pichler.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt Analogien, die auffällig sind, und Erfahrungen, die für aktuelles und zukünftiges Handeln berücksichtigt werden sollten.
Zwischenstaatliche Infrastrukturprojekte sind oft bemerkenswerte Anschauungsbeispiele dafür, dass die beteiligten Länder ihre jeweiligen Vorteile durchzusetzen und den Preis dafür niedrig zu halten versuchen. Dass die Schweiz alles daransetzt, die Verbindung zwischen den links- und rechtsrheinischen Autobahnen auf ihrem Territorium so zu gestalten, dass wenig Boden verbraucht wird und die Vorplanungen halten, ist verständlich, aber nicht in Blei gegossen. So wie die Welt im ständigen Wandel ist, sollten auch schwerwiegende Eingriffe in Budget und Landschaft nach neuen Einsichten und Gegebenheiten verhandelbar bleiben.

Österreich, im speziellen Vorarlberg, hat bezüglich des größten gemeinsamen Infrastrukturprojekts, nämlich bei der Rheinkorrektion am Ende des 19. Jahrhunderts, nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Alle österreichischen Wasserbauexperten waren damals der einhelligen Ansicht, dass ein Rheindurchstich Brugg – Fußach für Vorarlberg kurz- und langfristig von Nachteil sei. Die Schweiz aber beharrte mit aller Macht auf einer Begradigung auf österreichischem Boden.

Bereits 1872, in den ersten Sitzungen der „internationalen Rheinregulierungskommission“, hatte der Experte des Vorarlberger Landesausschusses die „offenbaren Nachteile dargelegt, welche der Durchstich in unserer Bucht für Fußach und Hard habe” und schlägt zur Verhütung derselben eine “durch die Lochseen ausmündende Ableitung vor, welche den Rhein in sicherer Entfernung von Höchst und Fußach dem offenen See zuleitet, während für die Geschiebsablagerung der Rohrspitz weit einen schützenden Arm hinausstreckt, um unsere Bucht vor Versandung zu bewahren”.

Nachdem aber die Schweizer Seite auf der direkten Ausleitung bestand, unternahm das Land Vorarlberg zehn Jahre später mit neuen Experten einen weiteren Versuch, um eine Rheinmündung links des Rohrspitzes zu erreichen. „Eine Summe mannigfacher Einflüsse,“ heißt es in diesem Gutachten, „werde die Versandung des zwischen Vorkloster und Fußach gelegenen Seebeckens derart beschleunigen, dass in nicht zu ferner Zeit ein vollständiges Zurücktreten der Seeufer von Hard unausbleiblich eintreten und sichtbar werden wird.“ Diese weise Voraussicht blieb in der Schweiz ungehört, der Rhein sollte möglichst weit weggeschoben werden.
Durchstich bei Brugg
Die Pattstellung in den Verhandlungen hielt bis zum Jahr 1890 an. Wieder stand Lustenau in diesem Sommer unter Wasser. Dies auch deshalb, weil auf Schweizer Seite im Lauf der Jahre die Schutzdämme erhöht worden waren. Die verheerende Überschwemmung Lustenaus machte die österreichischen Verhandler weich. Ihr Zögern wurde für die Katastrophe mitverantwortlich gemacht; und der Landesregierung war nun jede Lösung recht. Der zukünftige Schutz für Lustenau überwog nun die Bedenken für die Harder Bucht und die befürchtete Versumpfung der rheinnahen Gebiete, weil die abführenden Wasserläufe nicht mehr in den Rhein einfließen konnten. 1892 wurde der Staatsvertrag zwischen Österreich-Ungarn und der Schweiz unterzeichnet und 1895 mit den Arbeiten für den Durchstich bei Brugg begonnen. Die Schweiz hatte sich auf ganzer Linie durchgesetzt.
Teure Baustelle
Der Rhein ist nun eingedämmt, die Kollaterlschäden des Eingriffs trägt Vorarlberg. Die Prognosen bezüglich der Verlandung des österreichischen Bodenseeufers wurden bald schmerzliche Realität. Die Vorstreckung des Rheins weit in den See hinein wurde zu einer teuren Baustelle, für die keine Ende in Sicht ist; und zu einer landschaftlichen Verunstaltung ohnegleichen.
Die Verhandlungen mit der Schweiz, meinte 1873 ein Vorarlberger Abgeordneter, seien „im Interesse der Staatsbürger nicht allzu gefällig und nachgiebig“ zu führen, und „zwar so, dass die schweizerischen Nachbarn ihren Zweck erreichen, die österreichischen Untertanen aber von dem bevorstehenden Verderben verschont bleiben.“ Eine kluge Verhandlungsposition möchte man meinen. Bei der von der Vorarlberger Landesregierung favorisierten Verbindungsstraße zur Schweiz wäre aber „das Verderben“ gänzlich auf Vorarlberger Seite. Die Schweiz aber benötigt den Gütertransit mindestens ebenso sehr wie den damaligen Uferschutz. Deshalb muss die Anschlussstelle verhandelbar bleiben und die Interessen beider Länder berücksichtigen. Für Brugg wurde Österreich schon einmal über den Tisch gezogen, weil Lustenau in Not war.
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