Geheime Wahl
Als Gerd Bacher gegen den Willen der SPÖ und zur allgemeinen Überraschung 1978 mithilfe von zwei unbekannt gebliebenen SPÖ-Vertretern zum Generalintendanten des ORF gewählt wurde, sah sich in der nachfolgenden Verrätersuche der bekannte Maler Adolf Frohner veranlasst, „beim Augenlicht seiner Kinder“ zu schwören, Bacher nicht gewählt zu haben. So arg war es vor Weihnachten in Dornbirn dann doch nicht, als bei der Wahl für die Nachfolge des zurückgetretenen SPÖ-Vizebürgermeisters der grünen Kandidatin in drei Wahlgängen eine Stimme aus ihrer Wahlkoalition von SPÖ, Grünen, FPÖ und Neos für die Mehrheit fehlte.
Die grüne Vermutung, es könnte (zweifach strafbaren) Stimmenkauf gegeben haben, verschwand rasch kleinlaut wieder in der Versenkung und auch der Hinweis auf den Großmut der Bregenzer SPÖ, der zweitstärksten Partei den Vizebürgermeister überlassen zu haben, entpuppte sich bald als Fake News. Hatten doch die Grünen dort als drittstärkste Fraktion nichts dabei gefunden, mithilfe der SPÖ der ÖVP als der weitaus stärksten Partei die Vizebürgermeisterin erfolgreich streitig zu machen. Dabei ist die Bedeutung der Funktion die Aufregung nicht wirklich wert. Abgesehen von der Vertretung des Gemeindeoberhaupts bei dessen Verhinderung gibt es keinerlei Unterschied zu einem anderen Mitglied des Gemeindevorstandes.
Hier steht das freie Mandat im Vordergrund.
Offen bleibt die grundsätzlich interessante Frage, ob jemand überhaupt von einer Stimmzusage seiner Fraktion abweichen darf. Rein rechtlich darf er/sie das natürlich, Gemeindevertreter sind wie Abgeordnete in Ausübung ihres Mandates frei und an keine Weisungen gebunden. In Sachfragen steht dem politisch entgegen, dass ein Mandatar in der Regel ja nicht als Einzelkämpfer in die Gemeindevertretung einzieht, sondern auf dem Rücken seiner Partei. Mit der Kandidatur wurde das Einverständnis mit den inhaltlichen Positionen der Partei dokumentiert und abgesehen von ihr selbst können auch ihre Wähler erwarten, dass ein Mandatar es sich nicht plötzlich anders überlegt. Dafür wurde er/sie ja eigentlich nicht gewählt. Daher ist es konsequent, dass bei solchen Themen in der Regel offen abgestimmt und das Stimmverhalten sichtbar wird.
Anders ist es bei Personalentscheidungen, die in den Gemeindevertretungen ebenso wie in den meisten Parlamenten mit Stimmzetteln, also in geheimer Wahl, getroffen werden. Hier steht – sonst hätte das ja keinen Sinn – das freie Mandat im Vordergrund und es kann nicht durch nach der Gemeindevertretungswahl geschlossene Parteienvereinbarungen ausgehebelt werden. Wie man in Dornbirn sehen konnte, gefällt es nicht allen, bei solchen Vorgängen von den Parteien wie Schachfiguren behandelt zu werden.
Jürgen Weiss
juergen.weiss@vn.at
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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