Jenseitig
Nach der krachenden Niederlage bei der Landtagswahl beginnt es in der niederösterreichischen ÖVP zu sickern: Man hat sich selbst geschadet, indem man freiheitliche Themen freiheitlich behandelt hat. Indem Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sogenannte Klimakleber fast schon als Staatsgefährder dargestellt hat. Oder indem Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), der aus ihren Reihen kommt, die Verhältnisse im Asylwesen durch Zelte eskalieren ließ. Womit die Botschaft einherging, dass er nichts mehr unter Kontrolle hat. Insofern hätte er auch zurücktreten können. Es hat jedenfalls nur der FPÖ geholfen.
Heute weiß man bei den Schwarzen, Blau-Gelben oder Türkisen, die sich allesamt zu einer ÖVP zählen: Wenn man es anlegt, wie Karner, muss man auch einen zweiten Teil liefern: „Entweder Sebastian Kurz oder eine Lösung“, so die „Krone“ aus Niederösterreich. Ein starkes Zitat, das einer wichtigen Erkenntnis gleichkommt.
Zumindest die Bundes-ÖVP weiß seit Jahren nicht mehr, wie sie eine Mehrheit mit ernsthaften, bürgerlichen Reformprogrammen für sich gewinnen, geschweige denn begeistern könnte. Feststellbar war das etwa schon unter Josef Riegler und Erhard Busek in den 1990ern. Zwischendurch konnte sie sich darüber hinwegschwindeln.
2017 kam jedoch die Selbstaufgabe: Mikl-Leitner und Co. haben die Bundespartei Sebastian Kurz überlassen. Sein Talent bestand darin, freiheitliche Politik wesentlich smarter als Freiheitliche zu betreiben und hunderttausende Wähler zu blenden, statt eben Lösungen zu präsentieren.
Jetzt steht nicht zuletzt die niederösterreichische Landeshauptfrau vor einem Scherbenhaufen: Kurz ist weg; die, die noch da sind, taumeln; und Freiheitliche holen sich die Stimmen zurück, die er ihnen abgenommen hat.
FPÖ-Chef Herbert Kickl kennt nichts dabei. Vorlagen nimmt er gerne auf. Innenminister Karner vermittelt, das Asylsystem sei kaputt? Kickl sagt Danke und fordert eine „Festung Europa“. ÖVP-Klubobmann August Wöginger kratzt an Menschenrechten? Udo Landbauer, Kickls Mann in Niederösterreich, kündigt sie hemmungslos auf.
Und der dortige Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) bestätigt Schülern mit Migrationshintergrund, dass sie nicht in der Bundeshauptstadt leben würden, wenn seine Vorstellungen längst Realität wären. Wobei ihm das sogar gefallen würde: „Dann wäre Wien noch Wien“, sagt er.
Das wiederum findet Johanna Mikl-Leitner „jenseitig“. Immerhin und gut so – sofern es mit einer überfälligen Zäsur verbunden ist: Letztlich verliert die Volkspartei, wenn sie Freiheitlichen nachhoppelt. Auch wenn diese irgendwann eine Grenze überschreiten und sie nicht mehr folgen kann. Ein Problem dabei ist, dass sich diese Grenzen immer weiter ins Radikale verschieben. Es ist daher an der Zeit, dass sich die ÖVP auf sich selbst und ihre Programmatik besinnt; dass sie Angebote entwickelt, die auf eine breite Mitte in der Gesellschaft ausgerichtet ist.
„Letztlich verliert die Volkspartei, wenn sie Freiheitlichen nachhoppelt. Es ist daher an der Zeit, dass sie sich auf sich selbst besinnt.“
Johannes Huber
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Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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