Verzweiflung, Angst und Zerstörung

Verheerende Erdbeben in Türkei und Syrien fordern Tausende Tote.
Istanbul, Damaskus Die Nacht liegt noch über der Südtürkei und Nordsyrien, als die Erde bebt. Plötzlich wackeln Wände, Asphalt reißt auf, Häuser stürzen ein. Zu spüren sind die Erschütterungen der Erdbeben in Israel, dem Libanon, auf Zypern und im Irak. Noch in der Dunkelheit versuchen Retter in beiden Ländern, Menschen aus den Trümmern zu ziehen. Im Morgengrauen, als Regen, Schnee und kalter Wind über die Region ziehen, wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Geologische Institute verzeichnen eine Erdbebenstärke von 7,7. Das Epizentrum lag nach Angaben der türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad in der Provinz Kahramanmaras nahe der syrischen Grenze – mit Dutzenden Nachbeben. Im Lauf des Tages erschüttert ein weiteres Beben der Stärke 7,5 die Südosttürkei. Bis zum Abend zählen Behörden und Hilfsorganisationen auf beiden Seiten der türkisch-syrischen Grenze mindestens 3400 Tote und um die 11.000 Verletzte, Tendenz steigend. Im Südosten der Türkei sind zehn verschiedene Provinzen betroffen. Der Sender NTV zeigt, wie ein Mädchen aus den Trümmern geborgen und in Decken eingewickelt weggebracht wird. In der Provinz Sanliurfa stürzte ein sechsstöckiges Gebäude wie ein Kartenhaus zusammen, wie Videos zeigen. Die Behörden warnen Menschen davor, in ihre Häuser zurückzugehen. Draußen ist es bitterkalt, in der Provinz Malatya schneit es heftig. Eine Augenzeugin in Hatay sagt der deutschen Presseagentur (dpa), dass sie seit dem Beben im Auto sitze. „Es ist kalt und wir wissen nicht, wie wir das durchstehen sollen.“ Gefühlt die Hälfte der Stadt liege in Trümmern, das Krankenhaus sei voller Verletzter, darunter Kinder. Am frühen Nachmittag seien noch keine Helfer vor Ort gewesen.
2000 Gebäude eingestürzt
Ersten Schätzungen zufolge sind in der Türkei mindestens 2000 Gebäude eingestürzt, darunter auch ein Krankenhaus in Iskenderun. Haluk Özener, Experte der Erdbebenwarte Kandilli in Istanbul, spricht vom stärksten Erdbeben in der Türkei seit Jahrzehnten. 1999 kamen bei einem Beben in der Nähe von Istanbul mehr als 17.000 Menschen ums Leben. Die Türkei liegt auf der kleinen Anatolischen Platte, die zwischen der nordwärts driftenden Arabischen Platte und der Eurasischen Platte nach Westen verschoben wird. Die entstehenden Spannungen entladen sich regelmäßig in Beben.
Amna, die auf der anderen Seite der Grenze mit ihrer Familie nahe Aleppo in Syrien lebt, kam mit mehreren Knochenbrüchen ins Krankenhaus. „Unser Haus stürzte über unseren Köpfen zusammen. Wir konnten nirgendwo hin“, berichtet sie der dpa mit schwacher Stimme am Telefon. „Mein Mann und einige meiner Kinder sind noch unter den Trümmern. Gott helfe mir.“ Syrien ist nach bald zwölf Jahren Bürgerkrieg vielerorts zerstört, die Bevölkerung zermürbt. Besonders hart trifft die Katastrophe auch die syrischen Flüchtlinge, die im Süden der Türkei teils in notdürftigen Unterkünften leben. „Ich dachte, dass die ganze Stadt zusammenstürzt“, berichtet Rami Araban von der Hilfsorganisation Care aus Gaziantep, wo rund eine halbe Million syrischer Flüchtlinge lebt. „Es gibt kein Wasser und wir stehen bei Minusgraden im Schnee draußen. Die Menschen weinen. Alle haben Angst.“




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