Bringschuld
Wenn die Unzufriedenheit mit der Politik steigt, setzt unverzüglich die Suche nach den Schuldigen ein. Bei Landtagswahlen ist es meist der Bund oder die Bundespartei. Die Bundespolitik, insbesondere die dort Regierenden, verweisen auf Verantwortliche auf europäischer Ebene oder gleich auf globale Entwicklungen. Soweit boten die Erklärungen von Johanna Mikl-Leitner und Karl Nehammer nach der Niederösterreich-Wahl nichts Überraschendes. Durchtauchen und Weitermachen wurde als Parole ausgegeben.
Doch Wahlsieger sehen ihren Weg naturgemäß ebenfalls bestätigt. Nur so lässt sich erklären, dass der schon zuvor auffällige und für Integration zuständige Landesrat Gottfried Waldhäusl seine Ansichten zu unerwünschten Personen nicht mehr nur am Stammtisch oder in privater Runde kundgibt, sondern öffentlich im Fernsehen und noch dazu ins Gesicht von betroffenen Jugendlichen. Doch trotz Protests aller Art und einem rassistischen Anschlag einer rechtsextremen Gruppe in einer Schule folgten weder Rücktritte noch bedauernde Worte aus Reihen der FPÖ. Und die ÖVP sandte keine Signale in Richtung Überdenken zumindest der Ressortverteilung in der künftigen gemeinsamen Landesregierung.
Nun kann ein neuerlicher Tiefpunkt in der politischen Kultur beklagt werden, doch ohne Konsequenzen ist es nur ein erneuter Schritt zur Salonfähigkeit von früheren Tabubrüchen. Die offenbar in Umfragen belohnt werden. Die FPÖ hat sich bereits im Herbst an der SPÖ vorbei auf den ersten Platz in bundesweiten Umfragen geschoben. Doch alle anderen Parteien finden auf das Reiten der populistischen Stimmungswelle keine Antworten. Inzwischen verliert die Bevölkerung den Glauben an Demokratie.
Es wäre eine Bringschuld der Parteien, sich für die Zukunft des Landes und das Image ihres eigenen Berufsfeldes mehr einzusetzen. Einige Ansatzpunkte sind schnell gefunden. Die Bevölkerung will keine Versprechungen, sondern gut erklärte konsequente Politik und Volksvertreter mit Fehlerkultur. Wähler lassen sich selbst mit milliardenschweren Förderungen nicht kaufen, wenn sie das Gefühl haben auf einem sinkenden Schiff zu sein. Alle sozialen Gruppen wünschen ernst genommen zu werden und niederschwellige Beteiligungsformen jenseits von Parteien und deren Klüngeln. Streit innerhalb von Parteien oder Koalitionen vermindert die Wahrnehmung von Kompetenz in der Öffentlichkeit. Wer Zweifel sät an demokratischen Institutionen oder Werten, arbeitet den Populisten in die Hände. Regierende punkten nicht bei Pessimisten und schon gar nicht mit Pessimismus. Sich gegenseitig mit Angst vor Zuwanderung, Teuerung, Rezession oder Klimawandel zu überbieten, schwächt nur den Zusammenhalt in einer Gesellschaft.
„Trotz eines rassistischen Anschlags einer rechtsextremen Gruppe in einer Schule folgten weder Rücktritte noch bedauernde Worte aus Reihen der FPÖ.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
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