Brief mit großer Brisanz

Arbeitsgruppe Bregenz Mitte distanziert sich „nachdrücklich von Gewinnerprojekt“.
Bregenz Es hätte eine Art Weihnachtsgeschenk für Bregenz werden sollen. Am 21. Dezember wurde nach elfstündiger Beratung das Siegerprojekt des städtebaulichen Wettbewerbs zu „Bregenz Mitte“ präsentiert. Die Freude hielt nicht lange an. Gut einen Monat später sollte in der Stadtvertretung ein weitreichender Grundsatzbeschluss zur Verlegung der Landesstraße, wie es das Wettbewerbsprojekt vorsieht, gefasst werden. Weil eine Machbarkeitsstudie dazu noch ausstand, wurde die Sitzung kurzerhand abberaumt.
Im Bregenzer Rathaus gingen daraufhin die Wogen hoch. Bürgermeister Michael Ritsch (54, SPÖ) wurde von Grünen und ÖVP „Überforderung im Amt“ und „peinliches, dilettantisches Vorgehen“ vorgeworfen. Ritsch ortete wiederum Missgunst.
Etikettenschwindel
Praktisch zeitgleich verschickte die Arbeitsgruppe Bregenz Mitte ein zweiseitiges Schreiben an die Spitzen der Landesregierung, den Bürgermeister, alle Fraktionen der Bregenzer Stadtvertretung, an die Investoren der betroffenen Zentrumsliegenschaften und den WIGEM-Obmann. Der Inhalt birgt einiges an Brisanz. Die renommierten Architekten distanzieren sich darin „nachdrücklich von diesem Projekt“. Es negiere ihre Intention völlig, weise viele Unklarheiten auf. „Es ist mit der von uns kreierten Bezeichnung Bregenz Mitte quasi ein Etikettenschwindel“, heißt es in dem den VN vorliegenden Schreiben.
„Bregenz Mitte“ steht für die Unterflurlegung der Straße mit dem Ziel, das Zentrum weitgehend vom Verkehr zu befreien. Die Stadt hatte der Arbeitsgruppe den Auftrag zu einem entsprechenden Masterplan erteilt, der auf große Zustimmung gestoßen war. Mit einem Wettbewerb sollte die Umsetzung des Masterplans vertieft werden. Politik und Investoren hätten sich allerdings plötzlich „sanft von einer zwingenden Unterflurlösung verabschiedet“, kritisieren die Architekten.
„Wählerbeschwichtigung“
Das Gewinnerprojekt sah schließlich die Umgestaltung der Landesstraße zu einem städtischen Boulevard entlang der Bahngleise vor. Die Unterflurlösung soll dabei als Option offengehalten werden. Ein entlarvendes Argument, befindet die Arbeitsgruppe in ihrem Schreiben. „Sie wirkt wie der Versuch einer Wählerbeschwichtigung.“
Tatsächlich war der freie Zugang zum See zentrales Thema im Bürgermeisterwahlkampf im September 2020. „Wir dürfen diese Vision nicht aus den Augen lassen“, sagt Architekt Christoph Gilhaus, der für die Arbeitsgruppe in der Wettbewerbsjury saß. Gilhaus hatte als Jury-Mitglied auf eine mangelhafte verkehrstechnische Umsetzung hingewiesen, die keine Verbesserung darstelle. „Der Wettbewerb hat aufgrund des Zeitdrucks und der sehr offenen Vorgaben Ergebnisse gebracht, die nicht zielführend sind und mit dem Masterplan nichts zu tun haben“, kritisieren Mitglieder der Arbeitsgruppe jetzt im VN-Gespräch.
Wohnungen unerschwinglich teuer
Unverständnis herrscht auch über die niedrige Baudichte, die das Siegerprojekt vorsieht. Wohnungen würden dadurch für breite Bevölkerungskreise unerschwinglich. Unklar sei zudem die angenommene Halbierung des Verkehrsaufkommens von 30.000 auf 15.000 Fahrzeuge etwa durch eine Citymaut. Es sei ein Rätsel, wie dies bei gleichzeitiger Verkehr erzeugender Verbauung gelingen soll.
Auch wenn die Kritik im Schreiben an die prominenten Adressaten vernichtend ist, will die Arbeitsgruppe, der unter anderem auch Stararchitekt Dietmar Eberle angehört, eine konstruktive Diskussion in Gang setzen. Mittlerweile würde die Studie zur Untertunnelung vorliegen. Sie bestätige die Machbarkeit, zeige aber auch die hohen Kosten. Allerdings fehle eine umfassende Gesamtbetrachtung, städtische Lebensqualität und der langfristige volkswirtschaftliche Mehrwert seien offenbar kein Thema, so die Architektengruppe. Aufgeben wollen sie aber nicht. „Noch ist es nicht zu spät, sich noch einmal gemeinsam an einen Tisch zu setzen und wieder auf den richtigen Weg zurückzukommen“, so die Hoffnung. VN-mig


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