Strafe und Therapie
Das Pädophile steckt, ob wir wollen oder nicht, im menschlichen Wesen drin und ist seit jeher ein meist verdrängter, manchmal sogar kultivierter Bestandteil jeder Gesellschaft. Während pädophile Strebungen von den meisten Menschen beherrscht werden können, liegt bei knapp einem Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung eine Kernpädophilie, also eine andere sexuelle Programmierung, vor. Und das ist das Problem. Der nun bekannt gewordene Kriminalfall eines populären Schauspielers macht bewusst, dass Pädophilie nicht auf die Kirche beschränkt werden kann, sondern sich in 99,8 % in allen Schichten unserer Gesellschaft abspielt. Sofort wird der Ruf nach strengeren Strafen lauter, als ob man damit allein eine auch medizinische Störung lösen könnte.
Im Suchtmittelgesetz hat sich bei Tätern, die kriminell und krank sind, das Prinzip „Therapie statt Strafe“ bewährt. Dort wird versucht, die Lieferanten streng zu betrafen, während den süchtigen Konsumenten die Strafe zugunsten einer Therapie erlassen wird. Diese Richtlinie kann man bei pädophilen Verbrechen nicht 1: 1 übernehmen, da es hier Opfer gibt und das Kindeswohl über alles zu stellen ist. Wohl aber ließe sich der Grundgedanke umsetzen, die Hersteller und Verbreiter von pädophilem Bildmaterial schwer zu sanktionieren, die gestörten Konsumenten hingegen neben der Strafe auch zur Therapie zu „verurteilen“. Damit würde der notwendigen Bestrafung von Menschen, die sich gegen Kinder vergangen haben, ebenso Rechnung getragen wie der gleichzeitigen Hilfe für letztlich kranke Personen.
Die Reaktionen aller Parteien sind ernüchternd. Unisono wurde der populistische Ruf nach strengeren Strafen übernommen. Während von FPÖ und Teilen der ÖVP nichts anderes zu erwarten war, hätte man sich von den Grünen, deren Schwesternparteien sich vor nicht langer Zeit für Straffreiheit pädophiler Untaten stark gemacht haben, eine differenziertere Einstellung erwartet. In der SPÖ scheint von der humanen Haltung ihres Übervaters Bruno Kreisky und seines etwas zu therapiegläubigen Justizministers Christian Broda nicht viel übrig geblieben zu sein. Mag das Sühnebedürfnis noch so verständlich sein, lässt sich das Problem mit Strafe allein jedenfalls nicht lösen. Auch wenn ein Täter länger in Haft ist, geht von ihm eine erhebliche Gefahr aus. Diese könnte durch verpflichtende therapeutische Kontrolle drastisch reduziert werden. Gerade im Interesse der potenziellen Opfer gilt deshalb die Forderung: Strafe und Therapie.
„Im Suchtmittelgesetz hat sich bei Tätern, die kriminell und krank sind, das Prinzip ,Therapie statt Strafe‘ bewährt.“
Reinhard Haller
reinhard.haller@vn.at
Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut
und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.
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