Wenn eine Ziffer nicht genug ist

Vorarlberg / 09.02.2023 • 19:29 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Ein Zeugnis mit zwei Zweiern. Fürs Gymnasium oft zu wenig.
Ein Zeugnis mit zwei Zweiern. Fürs Gymnasium oft zu wenig.

Protest gegen Notengebung erfährt an VS Lustenau-Kirchdorf Neuauflage in anderer Form.

LUSTENAU Evi Hagen(47) kommt so richtig in Fahrt. „Warum bitte soll ich Kinder mit einer Ziffernnote beurteilen und so über ihre Gymnasiumsreife entscheiden müssen? Warum kann ich das nicht anders machen? Es ist eine untragbare Situation.“ Sie sind zu Semesterende wieder da, die „Gallierinnen“ von der VS Lustenau-Kirchdorf. Sie, die vor drei Jahren den Aufstand gegen die Autorität des Bildungsministers wagten, und „Verstehnix“ Heinz Fassmann mit Gehorsamsverweigerung drohten.

Dem Gesetz gebeugt

Österreichweit waren sie damals in den Schlagzahlen. Letztlich nützte alles nichts. Sie mussten sich der Autorität des Gesetzes beugen. Doch der rebellische Geist ist geblieben. Er kehrt in künstlerischer Form in das gallische Dorf der Volksschule Kirchdorf zurück. „Wir machen ein Theaterstück begleitet mit Musik am Fenster einer Klasse Richtung Schulhof. Dort dürfen Schüler, Kollegen und Lehrer auf kreative Art unsere Ablehnung dieses Missstandes erfahren“, beschreibt Lehrerin Simone Flatz (46) den Hintergrund des künstlerischen Schaffens. Flatz ist eine „Gallierin“ der ersten Stunde, gehörte zu jener Delegation von Lehrerinnen, die sich sogar nach Wien ins Ministerium begab, um den damaligen Bildungsminister Heinz Fassmann von den ihrer Meinung nach negativen Folgen der verpflichtenden Rückkehr zur Ziffernnote zu überzeugen. „Ich kenne keine moderne bildungswissenschaftliche Publikation, die den Nutzen der Ziffernnote belegt“, sagt Flatz. Betont haben will sie, „dass es uns ja nicht um eine Verpflichtung zur alternativen Beurteilung geht. Wir wollen nur die Wahlfreiheit haben. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die aus bestimmten Gründen am Ziffernsystem festhalten. Und das sollen sich ja auch tun dürfen.“

Stolzer Direktor

Stolz auf seine kämpferischen Pädagoginnen war und ist Direktor Christoph Wund (59). „Die Unschuld des Lernens hört mit Beginn der dritten Klasse auf“, prägte er damals einen Satz, der zum Sinnbild des Widerstands gegen die Ziffernnote bis zur vierten Klasse Volksschule wurde. An seiner Haltung hat sich nichts geändert. „Ich musste damals den Widerstand aufgeben, weil ich sonst ungesetzlich gehandelt hätte“, erinnert sich an jene aufregenden Tage am Semerstende vor drei Jahren. Vor der Ära Fassmann wurde die alternative Beurteilung an der Volksschule Kirchdorf praktiziert.

Die Anspannung

„Dieser reformpädagogische Zugang war ja auch der Grund, warum ich mein Kind damals an diese Schule schickte“, sagt Sabine Walkner (48). Jetzt ist ihr Bub in der vierten Klasse. „Und es war das ganze Semester lang eine Anspannung bei uns. Der Bub war enttäuscht, wenn er mal keinen Einser nach Hause brachte. In unserem Umfeld musste ich immer wieder hören: ‘Er kommt ja wohl schon ins Gymnasium?’ Das war nicht so angenehm.“ Ins Gymnasium geht Walkners Bub nun tatsächlich nicht. Aber nicht, weil er es nicht an die AHS geschafft hätte. Er geht in die Sportmittelschule Hohenems. Letztlich genau dorthin, wohin er wollte. VN-HK

„Wegen der Reformpädagogik ohne Ziffern­note gab ich mein Kind in diese Schule.“

Nur eine Ziffer. So wollen Evi Hagen und Simone Flatz (v.l.) ihre Schüler nicht benoten. VN/Steurer
Nur eine Ziffer. So wollen Evi Hagen und Simone Flatz (v.l.) ihre Schüler nicht benoten. VN/Steurer
Wenn eine Ziffer nicht genug ist

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