Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Das Mitgefühl in den Zeiten der Apokalypse

Vorarlberg / 13.02.2023 • 22:39 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Viele noch ungeborgene Leichen, die das Wasser verunreinigen können. Menschen, die alles verloren haben und jetzt in der Kälte leben müssen. Überlebende, die an vielen Orten keinen Zugang zu Toiletten haben, so dass Keime ins Grundwasser gelangen können. Nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet wächst nun auch die Seuchengefahr.

Und aus der ohnmächtigen Trauer der Betroffenen wird teilweise Wut – über die Umstände und Versäumnisse, die zu den schweren Schäden an zahlreichen Gebäuden geführt haben, über die nahen Menschen, die man verloren hat, über die Hilfe, die leider zu spät kam oder über den täglichen Überlebenskampf um Wasser und Nahrungsmittel.

Und zuletzt gab es in der allgemeinen Überforderung so eines Ausnahmezustands Berichte über Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppierungen. Reporter des deutschen Fernsehens berichteten etwa über islamistische Gruppen aus Syrien, die Häuser geplündert haben sollen.

Zusammenhalt und Mitgefühl

Und mitten in dieser Apokalypse – ja, das ist eine Apokalypse, nicht die manchmal hochgeschraubten Panik-Debatten, mit denen viele von uns sich gerne auf Social Media beschäftigen – gibt es doch das, was uns Menschen auch auszeichnet: Zusammenhalt und Mitgefühl. Der Großteil der EU-Staaten, Albanien, Montenegro und Serbien schicken Tausende Hilfskräfte in die betroffenen Regionen, im Krisenfall gibt es also noch jene Solidarität über die eigenen Befindlichkeiten hinweg, die oftmals im Politikalltag so schwer zu erreichen ist. Und egal, ob man sich dem christlichen Weltbild verbunden fühlt oder nicht, können sich wahrscheinlich viele von uns darauf einigen, dass der 1. Korintherbrief auch in solchen albtraumhaften Situationen etwas Wahrhaftiges anspricht: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“

Am Wochenende werden noch immer Menschen lebend aus den Trümmern geborgen, diese Momente der Hoffnung berühren Menschen weltweit. Besonders wenn kleine Kinder es geschafft haben, wie ein sieben Monate altes Baby, das noch 140 Stunden nach dem Beben in der Provinz Hatay gerettet werden konnte. Doch nun geht es darum, die Empathie für die Menschen zu bewahren, die überlebt haben. Das Mitfühlen mit Katastrophenopfern im Fernsehen fällt leichter, man weiß, die Rettungsaktion wird nicht ewig dauern. Doch die Überlebenden werden wohl jahrelang Hilfe brauchen, ob beim Wiederaufbau oder beim Neuanfang bei Verwandten in einem Land außerhalb der Türkei – da reicht eine kurze Sympathiekundgebung oder eine einmalige Spende nicht aus. Mitfühlend zu bleiben, das ist eine Langzeit-Aufgabe.

„Mitten in dieser Apokalypse gibt es doch das, was uns Menschen auch auszeichnet: Zusammenhalt und Mitgefühl.“

Julia Ortner

julia.ortner@vn.at

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.

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