“Das Problem ist nicht neu”

Türkei-Experte verweist auf Korruptionsproblem im Bausektor.
Schwarzach Nach der Erdbebenkatastrophe im syrisch-türkischen Grenzgebiet ist nichts, wie es vorher war. In der betroffenen Region ist die Not verheerend. In der Türkei mischt sich zum Entsetzen zunehmend auch Wut über die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Opposition ortet grobe Versäumnisse. Im Zusammenhang mit dem Beben sind bereits Haftbefehle erlassen worden: Die Verantwortlichen sollen für Baumängel zur Verantwortung gezogen werden. Hüseyin Cicek, Vorarlberger Türkei-Experte, spricht von einem „korrupten Bausystem“ in dem Land – und das seit Jahren. Das sei aber nicht etwas, was man nur der herrschenden AKP von Erdogan anlasten könne.
Wahlen im Mai geplant
Der Politologe und Religionswissenschaftler gibt zu bedenken, dass die Informationslage derzeit verwirrend sei. „Vom Ausmaß der Zerstörung vor Ort kann man sich kein Bild machen.“ Nun versuchten alle, sowohl die Opposition als auch die Regierung, aus dem Chaos Profit zu schlagen. Viel sei momentan die Rede von Neuaufbau, von einer Erneuerungswelle. „Alle wollen sich das auf die Fahnen schreiben.“ In der Türkei sind am 14. Mai Präsidentschafts- und Parlamentswahlen angesetzt.
Experten kritisieren, dass Bauvorschriften für mehr Schutz vor Erdbeben nicht umgesetzt worden sind. Die Opposition macht die Regierung für den Pfusch am Bau verantwortlich. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der CHP warf Erdogan, der seit 20 Jahren an der Macht ist, zuletzt vor, das Land nicht auf die Katastrophe vorbereitet zu haben. Zudem kritisierte er die Regierung für eine Bau-Amnestie 2018, mit der illegal errichtete Gebäude gegen Strafzahlung im Nachhinein legalisiert worden sind. „Die AKP hat sicher entsprechende Handlungen verabsäumt. Aber auch vor der Zeit der AKP-Regierung gab es Erdbeben mit schlimmsten Auswirkungen“, sagt Politologe Cicek. Vielmehr ortet er ein generelles Korruptionsproblem, vor allem im Bausektor. „Das ist nicht neu, das gibt es schon länger.“ Er glaubt: „Da wird noch eine Schlammschlacht auf uns zukommen.“
Schwierige Prognosen
Prognosen zum aktuellen Zeitpunkt über die Wahl sind angesichts des vorherrschenden Chaos denkbar schwierig. Darauf verweist auch Cicek. „Doch selbst wenn Erdogan verlieren sollte, stellt sich die Frage: Was kommt danach? Die Opposition stellt sich gegen ihn, aber die Gräben, die er aufgeschlagen hat, lassen sich nicht so einfach zuschütten.“ So sei beispielsweise auch ohne Erdogan keine rasche Änderung in der türkischen Außenpolitik zu erwarten. Außer der Gegnerschaft zum Präsidenten eine die Parteien nicht viel. Dem Experten zufolge könnte es auch Erdogan gelingen, die Unsicherheit für sich zu nutzen. „Es ist möglich, dass die Lage in einem Monat schon wieder ganz anders aussieht.“ VN-ram
„Selbst wenn Erdogan die Wahl verlieren sollte, stellt sich die Frage: Was kommt danach?“

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