Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Empört euch

Vorarlberg / 14.02.2023 • 19:38 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Parteien offenbaren zur Zeit neben den großzügigen Gießkannenförderungen zahlreiche Beispiele für ihren lockeren Umgang mit öffentlichen Mitteln. Etwa bei der Steuermoral von Teilorganisationen, mit der Überzahlung von Staatssekretären oder durch üppige Zusatzpensionen von Funktionären. Als Sahnehäubchen kommt noch die Verhaftung von weiteren Europaparlamentariern wegen Korruptionsverdacht hinzu. Nun kann man einwenden, dass der Vorarlberger Seniorenbund eine Selbstanzeige erstattet hat. Politik ist also lernfähig. Andererseits liefert er den Beweis, dass nicht nur der Wirtschaftsbund sein Selbstverständnis als Parteiorganisation oder Verein flexibel zum Anlass aber immer zum eigenen Vorteil ausgelegt hat.

Bei den Staatssekretären geht es „nur“ um rund 1800 Euro mehr für wenige Wochen. Doch viele Menschen arbeiten den ganzen Monat für diesen Betrag. Und es geht auch ums Prinzip: Wenn mit Gesetz ein Betrag festgelegt wurde, sollte diese Regel ausnahmslos gelten. Ebenso ist es widersprüchlich, ein höheres Pensionsantrittsalter zu erzwingen, wenn gleichzeitig üppige Zusatzpensionen für Wirtschaftskammer-Funktionäre finanziert werden. Von Pflichtmitgliedern wohl gemerkt. Die Spekulationen über den ehemaligen ORF-Chef Alexander Wrabetz als zukünftiger SPÖ-Chef zeigt, dass nicht nur die ÖVP das Maß verloren hat. Wenn Sozialdemokraten ernsthaft über einen 8000-Euro-Pensionisten als Spitzenkandidat diskutieren lassen, fehlt offensichtlich jedes Gespür für dieses fatale Signal an die eigene Klientel.

Gleichgültig welche Berechnungsmethode man anwendet, pro Kopf, pro Wähler, gemessen am Bruttoinlandsprodukt: Die österreichischen Parteien gehören weltweit zu den Spitzenverdienern aus dem Steuertopf. Dennoch verweigern sie mehr Tempo bei gläsernen Parteikassen und mehr Einsicht in die eigene Verantwortung der gesamtgesellschaftlichen Rechnung gegenüber. Da verwundert es nicht, dass immer mehr Menschen zur Überzeugung gelangen, das politische System in Österreich funktioniere nicht gut. Da helfen millionenschwere Kampagnen ebenso wenig dagegen wie flapsige Ratschläge zur Einsparung von Ballkleidern.

Stéphane Hessel hat 2010 mit seiner kleinen Streitschrift „Empört Euch!“ die Bevölkerung zu einer engagierten Lebenshaltung, zu gewaltloser Revolte und zivilem Ungehorsam aufgerufen. Tausende politische Mandatare von den Gemeinden bis zur EU könnten die Idee aufgreifen und den Anfang machen. Die Mehrheit von ihnen ist gewiss mit intaktem moralischem Empfinden ausgestattet. Wo also bleibt der empörte Aufschrei all dieser Politikerinnen und Politiker gegen ihre eigene Beschädigung?

„Die österreichischen Parteien gehören weltweit zu den Spitzenverdienern aus dem Steuertopf, dennoch verweigern sie mehr Tempo bei gläsernen Parteikassen.“

Kathrin Stainer-Hämmerle

kathrin.stainer-­haemmerle@vn.at

FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.

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