Hans und Erna
Wir wollen sie Hans und Erna nennen. Fragen können wir sie eh nicht. Sie sind an einen Brunnen gelehnt eingeschlafen. Den Pappbechern zufolge war auch etwas Schlafmittel im Spiel. Die Hüte mit bunten Plastikblumen sitzen abenteuerlich auf ihren Häuptern. Nur Hans trägt noch seine rote Schaumstoffnase. Erna hat ihren Kopf sanft an ihn gelehnt, und er hat seinen Mantel um sie beide gebreitet, denn es ist empfindlich kalt in der Nacht.
Aber die Kälte dringt nicht zu ihnen durch. Sie lächeln. Der Erna ist eine blonde Strähne in die Stirn gerutscht, sie hält ihren Kavalier eng umschlungen und lächelt. Verschmitzt, glücklich. Lässt die letzten Stunden Revue passieren im Traum, vielleicht eine Aussicht, gar ein Versprechen? Das Mondlicht fällt auf ein Paar geschundener Hände. Am Tag packt Erna wohl an. Aber nicht jetzt, nicht in dieser Nacht, nicht so verkleidet und verzaubert und vergnügt, wie sie da mit dem Hans dahindämmert.
Lange wird das nicht dauern. Schon lässt der Hans ein Murmeln vernehmen. Gleich werden sie wach. Frösteln, fassen sich noch fester, stehen auf, gehen nachhause. Heim in die Welt mit der Krise und dem Krieg, den Seuchen und dem Erdbeben und den Rettern, die noch immer ihr Leben riskieren, um andere aus den Trümmern zu holen. Mit allem eben. Und mit dem Abglanz dieses Lächelns einer durchtanzten Nacht auf den Lippen. Als sie gehen, trägt die Brunnenfigur stolz wie nie zuvor eine rote Schaumstoffnase.
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