Lipgloss macht Nora glücklich

Zwischen die gehandicapte Nora und ihre Mutter Karin passt kein Blatt Papier.
Dornbirn Nora feiert am heutigen Samstag ihren 33. Geburtstag. Für die Dornbirnerin ist es der wichtigste Tag im Jahr. Ihre Mutter Karin Schneeweiß (63) weiß warum. „An diesem Tag steht Nori den ganzen Tag im Mittelpunkt. Sonst hat sie im Alltag kaum Erfolgserlebnisse. Darum ist der Tag so wichtig für sie.“ Noras Schwestern Nina und Lisa haben sie an ihrem Ehrentag zum Frühstück eingeladen. Und zum Mittagessen bekam Nora das gewünschte Kartoffelgulasch. Selbstverständlich wurde das Geburtstagskind auch beschenkt. „Nori hat sich zum Geburtstag nie was anderes gewünscht als Lipgloss. Mit Lippenstiften kann man sie glücklich machen“, plaudert Mutter Karin aus dem Nähkästchen. Wenn Nora glücklich ist, ist ihre Mama es auch. Als die beiden vor einigen Monaten in Athen waren, führte der erste Weg sie nicht zur Akropolis, sondern in einen Drogeriemarkt. „Wir kauften ein Lippenstift-Set. Das Kind war die ganze Woche glücklich.“
Traumberuf unerreichbar
Nora wäre gerne Kosmetikerin geworden. Aber der Traumberuf war für sie unerreichbar. „Wegen einer Entwicklungsstörung war Nori kein Normkind. Bei der Reifung des Gehirns kam es in der Kindheit zu Störungen. Deshalb hat sie sich anders als durchschnittliche Kinder entwickelt“, erklärt Mutter Karin, warum ihre Tochter keinen Schul- und Lehrabschluss hat und heute unter anderem auch geschützte Arbeitsstellen innehat – bei einer Lebensmittelkette und bei einer Sozialorganisation. Zudem ist Nora stundenweise aber auch noch bei einem Medienunternehmen und bei einer Metallbaufirma beschäftigt. Die junge Frau arbeitet gern, auch weil sie es mag, unter Leuten zu sein. Am liebsten wäre sie aber zusätzlich noch in einer Drogerie oder Parfümerie beschäftigt. Dort zieht es sie auch beim „Lädala“ immer hin, was sie für ihr Leben gern tut. „Nori könnte dort ja stundenweise Regale einräumen“, würde sich Karin mit ihrer Tochter mitfreuen, wenn Nora in dieser Branche noch eine Beschäftigung bekäme.
Sie verhehlt nicht, dass ihr Kind gewisse Beeinträchtigungen hat. „Nora ist in allem langsamer und geht unsicher. Sie kann nicht Auto fahren, sich selbst die Schuhe binden, die Haare waschen oder den Herd bedienen. Auch Rechnen kann sie nicht, Schreiben und Lesen aber schon.“ Manchmal besucht ihre Tochter eine Bücherei. Dann greift sie in der Regel zu einem Robin-Hood-Buch und überfliegt es kurz. „Robin Hood ist mein absoluter Held, weil er für die Armen kämpft“, sagt Nora, die noch andere Heros hat. Batman zum Beispiel, weil dieser gegen Verbrecher kämpft.
Nora freut es, wenn die Guten gegen die Bösen gewinnen. Gegen das Böse hat sie eine natürliche Abneigung. „Nori schaut sich sehr gerne Walt-Disney-Filme an. Sobald die Bösen auftauchen, verlässt sie das Zimmer“, weiß ihre Mutter darum. Aber das Böse lässt sich nicht ausklammern, auch nicht im Leben von Nora. Einmal nahm ihr ein Jugendlicher Geld ab mit einem dreisten Trick. Die gehandicapte Frau möchte darüber heute noch nicht sprechen, so unangenehm ist es ihr.
Aber auch das Gute findet in ihrem Leben immer wieder Niederschlag. Als sie noch die Hauptschule besuchte, wurde Nora auf dem Schulweg von Lisa begleitet. „Lisa hat jeden Tag extra einen Umweg gemacht, damit Nori nicht allein zur Schule gehen muss“, verrät Karin. Die Mädchen, die sich aus der Volksschulzeit kannten, freundeten sich an, Lisa war damals Noras beste und einzige Freundin.
„Brauche Mama noch“
„Um solch ein Kind hat man mehr Angst“, gibt die fünf-fache Mutter offen zu. Karin ist es wichtig, dass Nora zu Hause ist, bevor es dunkel wird. „Ich bin jedes Mal erleichtert, wenn sie zur Tür hereinkommt.“ Aber auch Nora sorgt sich um ihre Mutter. Als Karin im Vorjahr wegen einer Hüftoperation im Spital und auf Reha war, hatte Nora Angst, dass ihre Mama nicht mehr nach Hause kommt. „Um sie zu beruhigen, haben wir mehrmals am Tag miteinander telefoniert“, gibt ihre Mutter preis. Für Nora ist sie der wichtigste Mensch. Das spricht sie auch offen aus. „Ich brauche Mama noch sehr und möchte, dass sie für mich da ist.“ Allein könnte die junge Frau ihren Alltag nicht meistern. Karin sieht Nora als ihre Lebensaufgabe. Der Gedanke, das Kind einmal zurücklassen zu müssen, bereitet ihr großes Unbehagen. „Aber vielleicht stirbt Nori ja vor mir.“ Diese ist noch jung und in einem Alter, in dem man noch viele Träume hat. „Ich würde mich gerne noch einmal verlieben“, gesteht die 33-Jährige, die schon einmal verliebt war – in Walter, der mit ihr die Hauptschule besuchte. Nora hofft, dass sie irgendwann ihrem Traummann begegnet. „Es darf ruhig ein wilder Musiker sein. Er darf auch lackierte Fingernägel haben“, sagt die junge Frau, die gerne zu der unbeschwerten Musik von Abba tanzt und mit Menschen, die sie als dumm anschauen, nichts zu tun haben möchte. vn-kum
„Es darf ruhig ein wilder Musiker sein. Er darf auch lackierte Fingernägel haben.“

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.