“Gewessler verschließt Augen vor der Realität”

Herbe Kritik an „Wolfsfreundlichkeit“ der Umweltministerin.
Wien Die Welt hat sich verändert: Epidemie, Ukrainekrieg, Teuerung. Vor allem die Abhängigkeit von russischem Gas in Österreich war eklatant. Wie sieht es mit der Lebensmittelversorgung aus? Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger über den Widerspruch zwischen Tierhaltungsstandards und importiertem Billigfleisch, Energiesparen in der Landwirtschaft und der Rückkehr des Wolfs in Vorarlberg.
Wurden Lehren aus der Abhängigkeit von Gas auch im Lebensmittelbereich gezogen? Oder sind wir schon recht autonom?
Moosbrugger Bei Grundnahrungsmitteln wie Milch, Fleisch, Getreide haben wir eine sehr gute Versorgungssituation – über oder nahezu Selbstversorgung. Wir warnen aber immer davor, dass wir bei Lebensmitteln in die gleiche Ecke geraten, wie es uns bei Gas und Energie passiert ist, weil wir ständig dem Billigsten nachgelaufen sind.
Gute topographische Voraussetzungen wären gegeben.
Moosbrugger In der Grünland- und Bergregion ist gerade Gras eine ganz wesentliche Futtergrundlage. Dort ist der Wiederkäuer eigentlich das einzige Tier, das in der Lage ist, aus Gras Milch und Fleisch zu produzieren. In den Alpenregionen sind wir daher eine der unabhängigsten Landwirtschaften. Wir können ohne Zukauf von zusätzlichem Futter Nahrungsmittel produzieren. Das sollen wir nicht nur schätzen, sondern auch in der Wertschöpfung massiv stärken. Das ist der beste Garant, um unabhängig zu sein.
Dabei hat die Kuh mittlerweile den Ruf des „Klimakillers“. Wird hier viel mit ausländischer Produktion, Stichwort Brasilien, vermischt?
Moosbrugger Der Ruf ist schlechter als die Zahlen belegen. Gerade die Viehwirtschaft in Österreich kann belegen, dass sich die CO2-Bilanz verbessert hat. Sagen Sie mir andere Bereiche, wo das gelungen ist. Der Verkehr etwa steigert seine Emissionen laufend. Und außerdem werden von uns ja unverzichtbare Grundnahrungsmittel produziert.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich das erste Mal gejährt. Die Lieferketten sind stark betroffen. Müssen sich die Menschen in Österreich Sorge machen, dass gewisse Lebensmittel knapp werden?
Moosbrugger Nein, diese Sorge habe ich derzeit nicht. Was mir Sorge bereitet, ist die Energie, die in allen Bereichen ein massiver Kostentreiber ist. Wenn es um gestiegene Lebensmittelpreise geht, sind am aller wenigsten die Bauern schuld. Der Wertschöpfungsanteil ist bei ihnen nicht in der Form gestiegen, wie die Regalpreise gestiegen sind. Daher müssen wir weg kommen von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Krisenregionen und stärker hinein in die Erneuerbaren aus der Region.
Wie wird der Kostendruck im Handel auf die Bauern zurückgeworfen?
Moosbrugger Der Druck im Handel ist massiv. Der Kampf unter den Handelsketten ist extrem. Die Eigenmarken haben eine extreme Umsatzentwicklung erlebt. Die regionalen Qualitätsprodukte und auch Bioprodukte stagnieren oder brechen sogar ein. Wir fordern eine klare Herkunftskennzeichnung.
Die Teuerung trifft nicht nur die Landwirte, sondern auch die Konsumenten. An welcher Stellschraube soll man drehen? Denn manche können sich die teureren Qualitätsprodukte nicht mehr leisten.
Moosbrugger Ein Drittel der Lebensmittel landet im Müll. Das heißt, bewusster einkaufen und dafür das, was ich kaufe, regional und qualitativ. In der gesamten Wertschöpfungskette sind viele Arbeitsplätze. Eine wesentliche Zukunftsfrage ist, wie wir es schaffen, diese Wertschöpfung in Österreich zu halten.
Braucht es mehr Tierwohl in den Ställen? Auch Vorarlberg hatte mit dem Kälbertransport einen Skandal.
Moosbrugger Was wir brauchen, sind einheitlichere Standards in Europa. Gerade im Markt und in der Gastronomie, bis hin zum Handel müssen wir die regionalen Produkte wieder stärker in die Regale und auf die Teller bringen. Denn das Dilemma in der Landwirtschaft ist, dass wir die Kälber dorther importieren, wo sie zu geringeren Haltungsstandards als bei uns Vorgabe ist wesentlich billiger gemästet wurden. Aber dann letztlich der günstigere Preis attraktiver ist, als das regionale Kalbfleisch. Das Problem ist somit nicht, was der Landwirt will, sondern wie der Markt tickt – Handel und Konsumenten.
Wie kann man dieses Dilemma auflösen? Denn Billigfleisch aus dem Ausland wird es weiter geben.
Moosbrugger Ich bin für klare Rahmenbedingungen. Dann soll nur das ins Regal, was den Anforderungen entspricht, die wir in Österreich haben. Ansonsten vernichten wir die Produktion in Österreich, verlagern sie ins Ausland und dann sind wir irgendwann dort, wo wir jetzt mit der Energie stecken. Ja zu Tierschutz, aber mit den notwendigen Preisen, die der Bauer braucht. Es braucht auch Transparenz vom Handel, wie viel wirklich an Tierwohlprodukten verkauft wird.
Ein anderes Tierthema: Auch in Vorarlberg geht die Angst vor dem Wolf bei den Landwirten um. Werden sie dabei genug unterstützt?
Moosbrugger Der Wolf ist in Europa nicht mehr gefährdet und eine massive Gefahr für Alm- und Weidewirtschaft. Für mich ist das wolfsfreundliche Abstimmungsverhalten von Umweltministerin Gewessler in Brüssel unverständlich, weil sie die Augen vor der Realität komplett verschließt. Mit dieser Raubtierromantik werden wir keine Zukunft für die Alm- und Weidewirtschaft finden und eines Naherholungraums, den viele Menschen nützen. Der hohe Schutzstatus des Wolfs muss reduziert werden, damit auch die Entnahme von Problemwölfen möglich ist. VN-JUS
„Ja zum Tierschutz, aber mit den notwendigen Preisen, die die Landwirte brauchen.“
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