Ärztekammer verliert bei mehrmonatigem Ärzte-Engpass Vetorecht

Eine Novelle soll die Errichtung von Primärversorgungszentren erleichtern.
Wien Es soll ein Schritt heraus aus der Zwei-Klassen-Medizin werden, sagte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz: „Wer sich keinen Wahlarzt leisten kann, hat einen Nachteil bei der medizinischen Versorgung.“ Gemeinsam mit ÖVP-Gesundheitssprecher Josef Smolle präsentierte er die Eckpunkte der geplanten Novellierung des Primärversorgungsgesetzes.
„Wir haben in Teilen Österreichs einen Mangel an Kassenärzten“, erklärt Rauch. Vor allem Menschen im ländlichen Bereich und mit geringerem Einkommen seien betroffen. Mit der Novelle wird es nun erleichtert, künftig Primärversorgungseinrichtungen (PVE) zu schaffen. Derzeit gibt es 39 in sieben Bundesländern. Das erklärte Ziel ist, diese Zahl bis 2025 zu verdreifachen.
Versorgungsengpass ausgleichen
Sind in einer Versorgungsregion zwei Stellen von Allgemeinmedizinern oder Kinderärzten unbesetzt, haben Ärztekammer und Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) künftig sechs Monate Zeit, nachzubesetzen. Danach können Landesregierung und ÖGK gemeinsam eine PVE ausschreiben. Der Gesundheitsminister kritisierte erst im Jänner, dass es vor allem am Widerstand der Ärztekammer liege, dass es zu wenige PVE gibt: „Dass die Ärztekammer bei der Einrichtung einer Primärversorgungseinheit ein Vetorecht hat, halte ich für einen Anachronismus.“
Ärztekammer widerspricht
„Die Primärversorgungszentren sollen jetzt stark prioritär sein. Man muss sich klar sein, dass das zu Lasten der dezentralen Versorgung über Einzelverträge geht“, sagt Burkhard Walla, Präsident der Ärztekammer Vorarlberg. Die Ärztekammer war in den Gesetzesentwurf nicht mit eingebunden, berichtet er den VN.
Aus Wallas Sicht sei es nach wie vor sinnvoll, möglichst dezentral und regional zu versorgen – gerade in der Allgemeinmedizin und bei der Pädiatrie. „Man muss aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet und die Versorgung unter Umständen mit diesem Zug massiv verschlechtert“, so Walla.
Es könnte zu Zentrenbildungen kommen, die eine unpersönliche Medizin garantieren, sagt der Ärztekammerpräsident. „Möglicherweise könnte es in Richtung Fließbandmedizin gehen.“ Walla ist es zudem wichtig zu betonen, dass die Bildung der PVE nicht an der Ärztekammer gescheitert ist: „Wir waren die Ersten in Vorarlberg, die versucht haben, das mit engagierten Ärzten umzusetzen. Wir nagen seit Jahren an der Bürokratie.“ Diese sei in dem neuen Konzept auch nicht verschwunden, berichtet der Ärztekammerpräsident. „Wir haben in Bregenz ein junges Team, das seit eineinhalb Jahren ein PVE gründen will. Aber das ganze scheitert an der Bürokratie zwischen Land und Kasse.“
Für Patienten ergeben sich laut Rauch jedoch durch PVE mehrere Vorteile: Verschiedene Gesundheitsangebote werden an einem Ort gebündelt, es gibt längere Öffnungszeiten und Urlaubsvertretungen. Gerade im ländlichen Bereich, wo derzeit zahlreiche Kassenpraxen unbesetzt sind, soll dadurch die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden.
Mit Ende des Vorjahres waren in Vorarlberg elf Kassenpraxen von Allgemeinmedizinern vakant, die VN berichteten. In Feldkirch, Bludenz, Wolfurt und Dornbirn warteten drei Allgemeinpraxen auf Nachfolger. Zudem gibt es im Land auch noch kein einziges Primärversorgungszentrum. In der Vergangenheit gab es zwar immer wieder Interessentinnen und Interessenten. Aber letztendlich war das Gesetzeskorsett zu eng und die Ärzte sprangen wieder ab. Mit dem breiteren Angebot an niedergelassenen Allgemeinmedizinern sollen auch Spitalsambulanzen entlastet werden.
Projekt Bergdoktor
Auch Ärztinnen und Ärzte sollen dadurch ein attraktiveres Angebot erhalten, im niedergelassenen Bereich tätig zu werden. „Nennen sie es Projekt Bergdoktor oder Landarzt“, sagte Rauch. Arbeitszeiten können in einem gemeinsamen Ärztezentrum flexibler gestaltet werden, auch Teilzeit ist möglich.
Walla entgegnet, dass es das auch bislang bereits gibt: „Flexible Jobmodelle haben wir schon lange realisiert. Man kann auch mit Einzelverträgen Teilzeit arbeiten. Dafür braucht man PVE nicht.“ Wichtig sei es, jungen Kolleginnen und Kollegen Starthilfen zu geben, sagt Walla. „Wir haben jetzt die wunderbare Situation, dass wir im November in Dornbirn noch keinen Bewerber auf vier Kassenstellen hatten und jetzt haben wir sogar einen zu viel.“„ Man könne diese Stellen gezielt bewerben.
Kosten trägt die EU
Die Kosten werden mit 100 Millionen Euro von der EU getragen. Die Umsetzung der eingereichten Projekte muss innerhalb von drei Jahren nach Zusage stattfinden. Der Entwurf wurde nun in Begutachtung geschickt. VN-JUS

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