Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Keine Europäer

Vorarlberg / 03.03.2023 • 22:03 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Für all jene, die gerade jetzt froh darüber sind, dass Österreich Teil der europäischen Integration ist, ist das Ergebnis ernüchternd: Bereits 38 Prozent der Bürgerinnen und Bürger finden, dass man der Zukunft außerhalb der EU besser begegnen könnte. Nur noch 52 Prozent widersprechen dieser Aussage. Das hat eine Eurobarometer-Befragung ergeben, die im Auftrag der Europäischen Kommission im Jänner und Februar durchgeführt worden ist. Im vergangenen Sommer waren die Werte noch weniger schlecht. Man könnte sie auch so zusammenfassen: Nur noch eine knappe Mehrheit setzt auf die Union.

Überraschung? Nein. Seit Jahren putzen sich überforderte Politikerinnen und Politiker zu gerne an „Brüssel“ ab, versuchen, sich daran zu reiben und sich so zu profilieren. Gerne wird das etwa in Bezug auf Asyl betrieben, wo das europäische System laut Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) „kaputt“ sei. Wahr ist eher, dass es zwar wirklich nicht gut funktioniert, dass das aber auf 27 eigensinnige Mitgliedsstaaten wie Österreich oder Ungarn zurückzuführen ist, die lieber poltern, als sich um gemeinsame Lösungen zu bemühen, auf die es ankommen würde.

Durch den Ukraine-Krieg wiederum könnte sich gerade hierzulande keine Sehnsucht nach mehr, sondern eine Sehnsucht nach weniger Europa entwickelt haben. Es würde der Selbstlüge entsprechen, die bei einem bloß identitätsstiftenden Neutralitätsverständnis mitschwingt: Es steht dafür, dass man sich einredet, zurückgezogen und auf sich allein gestellt sicher zu sein.

In Wirklichkeit ist man jedoch weder sicher noch auf sich allein gestellt. Über den EU-Vertrag hat man sich dazu verpflichtet, anderen Mitgliedsstaaten im Falle eines militärischen Angriffs beizustehen. Es gibt zwar eine Möglichkeit, sich davor zu drücken, realistisch ist das jedoch nicht, wenn’s draufankommt. So ist das, was der russische Präsident Wladimir Putin treibt, nicht nur gegen ein Land, derzeit also die Ukraine, gerichtet, sondern gegen ganz Europa. Dem kann man sich nicht entziehen, auch wenn man noch so gute Geschäftsbeziehungen mit Russland weiterpflegt und für Gaslieferungen auch noch die dortige Kriegskasse füllt.

Auf die Beistandsklausel im EU-Vertrag angesprochen, meinte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) jüngst, dass man sie der Bevölkerung beim EU-Beitritt vielleicht nicht ausreichend erklärt habe. Abgesehen davon, dass es sie damals, in den 1990er Jahren, noch nicht gegeben hat, ist das bezeichnend: Man verabsäumt es, zu erklären, was europäische Solidarität bedeutet. Man scheut sich, dazu zu stehen, geschweige denn, es offensiv zu betreiben. Man lässt die Leute lieber im Glauben, dass man Bewohner einer Insel der Seligen sei. Mit genau diesem „Erfolg“: Zu viele Menschen finden, dass man außerhalb der EU besser aufgehoben wäre. Man sollte sich nicht wundern, wenn es sich eines Tages um eine Mehrheit handelt, die dann auch ernst macht.

„Diese Politik wirkt: Zu viele Menschen finden, dass man außerhalb der EU besser aufgehoben wäre.“

Johannes Huber

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Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.

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