Das schlummerte in ­meinem Organismus

Vorarlberg / 07.03.2023 • 08:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Das schlummerte in ­meinem Organismus

Schon längst wollte ich mit dieser Kolumne anfangen. Ich bin auf seit sieben, hab den Hund rausgelassen, Kaffee getrunken, die Öfen angeheizt, gewördelt, gefrühstückt, mich an die Arbeit gesetzt. Ich könnte mit dieser Kolumne schon längst fertig sein.
Das Problem ist, dass dann zwei Vorarlbergerinnen in mir gegeneinander zu kämpfen anfingen. Die, die pünktlich abgeben möchte, und das heißt nicht: zum vereinbarten Abgabetermin. Sondern, weil ich eine Streberin bin, möglichst noch bevor der freundliche Kollege P. sein übliches, liebevolles Erinnerungsmail schickt, ob ich es eh nicht vergessen hätte, dass heute Kolumnen-Abgabetag sei.
Die andere Vorarlbergerin hat allerdings ein Problem: Es ist nicht aufgeräumt. Und es wurde hier, wie ich feststellte, als ich die Brille zum Arbeiten aufsetzte, auch schon viel zu lange nicht gesaugt. Und diese innere Vorarlbergerin, die kann nicht arbeiten, wenn es unaufgeräumt und dreckig ist.
Das ist ein relativ neues Problem, oder wie die meisten Nichtvorarlberger vielleicht sagen würden: noch eine Neurose. Früher habe ich mich vom Dreck weggedreht, und den Dreck sofort vergessen, überhaupt kein Problem. Das habe ich auch heute versucht: Ich setzte mich um an dem großen Esstisch, an dem ich auch arbeite, so, dass ich die Küche, in der das unabgewaschene Frühstücksgeschirr steht, im Rücken habe, und vor mir einen Blick in die heute eher trübe Waldviertler Aussicht.

„Je älter ich werde und länger ich vom Ländle weg bin, desto mehr fängt das Ländle in mir zu wirken an.“

Aber was geschah? Das hatte den gegenteiligen Effekt, weil: das Fenster! Wie dreckig kann ein Fenster sein! Ich überlegte, ob ich mich nochmal umsetzen sollte, aber ich konnte das schmutzige Fenster nicht mehr ungesehen machen. Also musste ich erst das Fenster putzen. Und dann das andere Fenster. Das dauerte. Dann setzte ich mich wieder hin. Der Blick in die Landschaft war jetzt makellos. Aber mit der Kolumne anfangen konnte ich trotzdem nicht, weil ich hinter mir das dreckige Frühstücksgeschirr spürte, und wie es zu leben anfing.
Ich weiß nicht, was da los ist. Je älter ich werde und länger ich vom Ländle weg bin, desto mehr fängt das Ländle in mir zu wirken an. Ich bin gerade mitten in der apokalyptischen Serie „The Last of Us“, da werden die Menschen von Pilzen infiziert und schließlich selbst zu Schwammerl. So ähnlich ist das wohl bei mir. Das Vorarlbergizid schlummerte offenbar einfach länger inaktiv in meinen Organismus und jetzt wurde es durch irgendwas aktiviert und übernimmt mich so langsam von innen her, und ich fürchte, es gibt kein Gegenmittel.
Gleich fang ich mit der Kolumne an, lieber Kollege P.! Ich muss nur schnell die Küche saubermachen und saugen, bin gleich wieder da.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.

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