Versöhnt mit der eigenen Geschichte

Vorarlberg / 13.03.2023 • 18:56 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Glücklicher Vater: Johann, Monikas erster Ehemann, wiegt seinen Sohn Manfred in den Armen.
Glücklicher Vater: Johann, Monikas erster Ehemann, wiegt seinen Sohn Manfred in den Armen.

Monika Schmideler (82) verlor zwei Ehemänner und ein Kind.

Satteins Monika (82) war ein Papakind. Mit ihrem Vater, einem Schmied, verbrachte die Niederösterreicherin viel Zeit in der Werkstatt. Sie war mit Begeisterung seine Gehilfin. Der Beruf des Vaters, der glühendes Metall auf dem Amboss mit dem Hammer bearbeitete und formte, faszinierte das Mädchen so sehr, dass es in Papas Fußstapfen treten wollte. Aber kein Schmiedebetrieb nahm Monika als Lehrling an. „Überall hieß es: Wir nehmen keine Mädchen auf. Wir brauchen Burschen.“ Schweren Herzens musste sie akzeptieren, dass dieser Männerberuf unerreichbar für sie war.

Mit 16 zog sie zu ihrer älteren Schwester nach Vorarlberg. In Frastanz begann die junge Frau in einer Textilfabrik zu arbeiten. In der Fabrik lernte sie ihren späteren Mann kennen. 1960 heiratete sie Johann, der wie sie gerne tanzte und aus Niederösterreich stammte. Vier Kinder krönten das Glück der beiden. „Weil ich meine Kinder selbst großziehen wollte, hörte ich zu arbeiten auf.“ Das Muttersein erfüllte Monika. „Ich hatte genug Arbeit daheim, habe im Haushalt und in der Familie alles allein organisiert, alle Kleider selbst genäht und immer selbst gekocht. Wir sind nie ins Wirtshaus essen gegangen, zumal das Geld knapp war.“

Ein Auto überrollte ihren Mann

Am 17. Februar 1976 wurde das Familienglück jäh zerstört. Vor ihren Augen überrollte ein Auto ihren Mann, mit dem sie nach 16 gemeinsamen Jahren (seelisch) zusammengewachsen war. Sein Tod traf sie schwer. Jetzt war Monika für vier Kinder im Alter zwischen 6 und 15 Jahren allein verantwortlich. Im ersten Trauerjahr unterstützte sie ihre Mutter. „Sie ist bei mir geblieben. Wir haben von ihrer Witwenpension gelebt.“ Monika trauerte heftig um Johann. „Nachts weinte ich die Kissen nass. Untertags riss ich mich zusammen. Ich wollte nicht, dass meine Kinder mich weinen sehen. Für sie musste ich stark sein.“

Zwei Jahre nach Johanns Tod nahm die Witwe einen Job in der Kantine einer Baufirma an. „Die Kinder wurden größer und benötigten mehr Geld.“ An ihrem Arbeitsplatz begegnete sie öfters dem Polier und Maurer Julius Schmideler, einem Bekannten von ihr und ihrem verstorbenen Mann. Julius und Monika kamen sich näher und wurden ein Paar. „Ich mochte Julius. Er war so ein guter Kerl, hat mich Witwe mit vier Kindern zur Frau genommen.“ Auch von diesem Mann bekam Monika Kinder. Doch dem Paar waren nur vier gemeinsame Jahre vergönnt. „Mein Mann war nierenkrank. Ein bösartiger Tumor an der Niere brachte ihn ins Grab.“ Er hinterließ seine Frau und seine zwei kleinen Kinder Franz und Julius.

Sein Tod stürzte seine Witwe in eine tiefe Krise. „Ich war zornig auf Gott, schimpfte fürchterlich mit ihm.“ Empört ging die sechsfache Mutter zum Pfarrer und erhoffte sich von ihm eine Erklärung. „Er schaffte es, mich zu beruhigen.“ Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes am 31. August 1981 dachte Monika: „Mir kann nichts Schlimmeres mehr passieren.“ Doch die Witwe irrte sich. Denn das Schlimmste stand ihr da noch bevor. Knapp zweieinhalb Monate nach dem Ableben ihres Mannes verlor sie abermals einen Menschen, den sie innigst ins Herz geschlossen hatte, ihren zweieinhalbjährigen Sohn Julius. Er lag morgens tot im Gitterbettchen. Sein Herz hatte von einer Sekunde zur anderen aufgehört zu schlagen. Die Mutter brach zusammen. „Die Welt stand still.“ Keiner konnte sie trösten. „Man durfte mit mir nicht darüber reden.“ Allein der Gedanke, dass ihr Mann seinen Sohn mitgenommen hat und sie jetzt beieinander sind, vermochte sie etwas zu beruhigen. Die älteren Kinder wollten das Leid der Mutter mindern und dachten, dass es weniger wird, wenn sie das Gitterbett und die Kleidung des Bübchens weggeben. Es war gut gemeint, aber vergeblich. Sechs Jahre lang trauerte Monika um ihr verlorenes Kind. Julius‘ Teddybär hütet sie heute noch wie einen Schatz.

Heute, Jahrzehnte später, fragt sich Monika, wie sie das alles überlebt hat. „Es war mein Schicksal. Da musste ich durch“, ist sie inzwischen mit der Geschichte ihres eigenen Lebens ausgesöhnt. Auch dem Herrgott ist sie nicht mehr böse. „Der hat schon gewusst, was er macht. Durch die Schicksalsschläge bin ich sehr mitfühlend und stark geworden.“ Das hat auch ihre Familie gemerkt, die ihr großen Respekt zollt und sie uneingeschränkt als Familienoberhaupt anerkennt.

Monika ist inzwischen mehrfache Großmutter und Urgroßmutter und in einem Alter, in dem man zunehmend in der Erinnerung lebt. Doch die 82-Jährige schaut ganz bewusst nicht zurück. „Dann werde ich traurig.“ Monika ist froh, dass die Herausforderungen der Gegenwart sie dermaßen beschäftigen, dass sie die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen kann. Die Pensionistin engagiert sich nicht nur für ihre Familie, sondern auch für ihre Mitbürger im Rahmen des Projektes herz.com. Sie geht mit offenen Augen durch das Dorf und schaut auf die Nöte ihrer Mitmenschen. „Wenn jemand etwas braucht, werde ich aktiv.“

Lebt von kleiner Rente

Ihr soziales Engagement hat ihr immer viel gegeben. Viele Jahre war sie als Mohi-Helferin tätig. Auch das „Essen auf Rädern“ stellte sie jahrelang zu. „Die Menschen warteten bereits auf mich, damit sie mit mir reden konnten.“ Monika ist es ein Anliegen, „jenen zu helfen, denen es schlechter geht als mir“. Dabei geht es ihr selbst – zumindest finanziell – auch nicht besonders gut. Sie lebt von ihrer kleinen Rente – etwas über 800 Euro – und der Witwenpension. 1500 Euro bekommt sie monatlich vom Staat. „Ich komme aus mit der Pension, auch dank meinem Gemüsegarten“, ist die Rentnerin, welche einst einen Männerberuf ergreifen wollte, froh, dass sie sich durchbringt.

Monika besitzt viele Puppen. Mit einer Puppe konnte man ihr immer eine Freude machen.
Monika besitzt viele Puppen. Mit einer Puppe konnte man ihr immer eine Freude machen.
Monika mit ihren jüngsten Kindern Franz (links) und Julius.
Monika mit ihren jüngsten Kindern Franz (links) und Julius.

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