Über die „Fehler“ im Umgang mit Gastarbeitern in dieser Republik

Kanzler Nehammer sorgte mit einer Aussage über Gastarbeiter und ihre Nachfahren für Aufregung.
Wien Die „Fehler“ der 1960er- und 1970er-Jahre dürften sich nicht wiederholen, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Montag vor Journalistinnen und Journalisten und sprach damit auf die Gastarbeiter an, die damals nach Österreich geholt wurden: Diese seien unerwartet im Land geblieben, inklusive ihrer nachgezogenen Familien: „Plötzlich haben wir uns gewundert, dass wir ein Migrationsproblem haben“, sagte der Regierungschef.
Keine Integrationsmaßnahmen
Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der Wiener Wirtschaftsuniversität, kann diese Aussagen zu Teilen nachvollziehen: „Wenn man sagt, dass man Fehler gemacht hat, würde ich dem sogar zu einem gewissen Grad zustimmen.“ Diese hätten nämlich darin gelegen, keine effektive Integrationsstrategie auszuarbeiten beziehungsweise umzusetzen: „Man hat vor allem die Frauen und Kinder nur als Anhängsel betrachtet, für die gab es überhaupt keine Optionen und keine begleitenden Integrationsmaßnahmen.“
Das offizielle Österreich sei nämlich noch bis vor Kurzem der Meinung gewesen, kein Einwanderungsland zu sein: „Gastarbeiterabkommen wurden in den 1960ern und 1970ern abgeschlossen, ein Integrationsgesetz erst 2017 eingeführt“, sagt Kohlenberger den Vorarlberger Nachrichten. Eine ähnliche Situation stelle sich im Moment bei Vertriebenen aus der Ukraine dar. Bei ihnen sei man zu Beginn des russischen Angriffskriegs auch nicht davon ausgegangen, dass sie über ein Jahr lang bleiben könnten.
Zusammengehörigkeitsgefühl
Die Kulturwissenschaftlerin kritisiert auf der anderen Seite aber das Bild, das Nehammer mit solchen Sagern auslöse, speziell bei Nachfahren von Gastarbeitern: „Diese Ebene ist politisch schwer greifbar. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gesellschaft ist schon wichtig.“ Solche Aussagen könnten laut Kohlenberger also zu einem Gefühl der Ausgrenzung führen „und im Extremfall bedeutet das, dass Menschen erst recht anfällig werden für radikalisierende Kräfte.“ Das trete „zum Glück“ aber nur „sehr selten“ auf.
Dennoch gebe es hier Möglichkeiten zu gesetzlichen Anpassungen, etwa um das Gefühl der gesellschaftlichen Zugehörigkeit zu steigern: „Die sehr restriktiven Einbürgerungsgesetze müssten aus meiner Sicht angepasst werden“, sagt Judith Kohlenberger. Durch die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem man sich aufhält, fühle man sich auch eher dafür zuständig, weil man sich an Gestaltung der Spielregeln – dann ausgestattet mit Wahlrecht – beteiligen kann.
Den Vorstoß Nehammers, Menschen, die weniger als fünf Jahre im Land leben, nur die Hälfte an Sozialleistungen auszahlen zu wollen – dagegen wehrt sich der Koalitionspartner, die Grünen –, kann Kohlenberger nicht nachvollziehen. Diese würde wohl nur Geflüchtete betreffen, „und wenn das so attraktiv wäre, stellt sich die Frage, warum so viele Menschen nach wenigen Tagen in Österreich wieder weitergezogen sind“. Auch ein Blick in die Forschungslage würde keine Rede von einem „Pull-Faktor Sozialleistungen“ erlauben: „Dass man sich danach ein Asylland aussuchen würde, ist nicht belegt“, erklärt Kohlenberger. max
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