ÖVP-Bauchweh
In der ÖVP haben doch einige Bauchweh, weil die NÖ-Landeshauptfrau mit ihrem FPÖ-Pakt das Gesicht verloren hat. Der Lustenauer Bürgermeister Kurt Fischer hat in Anlehnung an ein Zitat von Heinrich Heine getwittert: „Denk ich an Österreich in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“. Noch deutlicher Othmar Karas, erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments: „Als Niederösterreicher bedauere ich, dass es zu einer Einigung mit der FPÖ gekommen ist. Landbauer und Waldhäusl übertrumpfen einander mit Gedankengut, das mit dem Menschenbild der ÖVP unvereinbar ist. Um Erhard Busek zu zitieren: Mit dieser FPÖ ist kein Staat zu machen.“
Ein Shitstorm auf Twitter war die Folge, mit der Aufforderung an Karas, aus der Partei auszutreten. Offenbar ist es schon ein Sakrileg, wenn man in der ÖVP einmal die eigene Partei kritisiert. Als Karas auf Twitter nachlegte, dass man auch die SPÖ nicht aus der Mitverantwortung entlassen dürfe, weil Taktik nicht über das Land gestellt werden dürfe, brach erst recht ein Gewitter aus. Alle, die Karas zuvor wegen aufrechter Haltung gelobt hatten, warfen ihm eine Täter-Opfer-Umkehr vor. Als ob es nicht gestattet sein darf, dass man den Justament-Standpunkt von SPÖ-Chef Hergovich hinterfragt. Zur Erinnerung: Das ist der, der sich lieber die Hand abhacken wollte, als Kompromisse einzugehen. Ebenfalls auf Twitter meint der frühere Europastaatssekretär Hans Winkler: „Ich war seit meiner Studentenzeit bei keiner Demonstration mehr. Jetzt möge man mir mit meinen 78 Jahren sagen, wo ich gegen die zunehmende Autokratisierung meines Heimatlandes mit vielen Gleichgesinnten öffentlich protestieren kann.“
Die frühere ÖVP-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky ist sogar aus der Partei ausgetreten. Vielleicht ist der Medizinerin aufgestoßen, dass ihre Ex-Partei sich plötzlich für Corona-Leugner einsetzt und Strafen wegen Verstößen gegen Lockdown-Regeln aus Steuer-Geld zurückzahlen will? Als Verhöhnung aller, die sich an die Vorschriften gehalten haben? Weltweit sind Millionen Menschen an Corona gestorben. Allein im ersten Jahr hat die Impfung geschätzten 20 Millionen Menschen das Leben gerettet. Derzeit gelten offiziell über 48.000 Österreicher als infiziert, 1250 müssen stationär behandelt werde, 70 davon intensiv-medizinisch, eine neue Corona-Welle ist im Anmarsch, die zumindest die Zahl der Krankenstände anwachsen lässt. Jetzt steht im Arbeitsübereinkommen von VP und FP: „Das Land Niederösterreich wird keine Werbemaßnahmen mehr für die Corona-Impfung durchführen“. Im Ernst? In Niederösterreich darf nicht mehr für lebensrettende Maßnahmen geworben werden? Verantwortungsloser geht’s nicht. Und das nur, um sich von der FPÖ die Zustimmung zum Machterhalt zu erkaufen. Was kommt als Nächstes? Keine Werbung mehr für andere wichtige Impfungen, etwa gegen Masern, die ja wieder im Kommen sind?
Der frühere ZiB2-Moderator Robert Hochner sagte einmal: „Die Rache der Journalisten ist das Archiv“. Das braucht man im Fall Niederösterreich nicht zu bemühen, denn diese Worte von FPÖ-Landesobmann Landbauer über Mikl-Leitner aus dem Wahlkampf hat man sich auch so gemerkt: Impfhexe, Ballkleid-Hanni, Moslem-Mama, Mikl-Leitner muss weg, sie steht für strukturelle Korruption, eiskalte Manipulation und skrupellosen Machtmissbrauch. Das hindert die so Titulierte nicht, mit der Partei, die sie nicht einmal zur Landeshauptfrau wählen wird, einen Pakt einzugehen. Landbauer plötzlich: „Es gibt Momente, da springt man über seinen Schatten“. Was lernen wir daraus? Manche Politikerworte sind oft Tage danach nichts mehr wert. Dass die Politik-Verdrossenheit in den letzten Tagen zugenommen hat, darf niemanden wundern.
Wolfgang
Burtscher
wolfgang.burtscher@vn.at
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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