Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Kluge Brille

Vorarlberg / 20.03.2023 • 10:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

„Wenn es schon sein muss“, sagte der Sohn, „dann will ich nicht irgendeine, sondern eine kluge Brille.“
„Was meinst du mit kluge Brille?“, fragte seine Mutter.
„Eben eine, mit der ich gescheiter aussehe, als ich bin.“
So war das mit Karli.
„Ja, und lass bitte auch das I weg in meinem Namen, ich heiße Karl!“
„Komm, zieh dir die Schuhe an, Karl, wir kaufen eine kluge Brille“, sagte die Mutter, und sie fuhren zum Optiker. Zuerst wurde seine Sehstärke gemessen, die zeigte, dass eine Brille notwendig war. Karl probierte zwanzig Brillen. Keine gefiel ihm.
Ein neuer Kunde trat ein, den schaute Karl an, weil er ihn an einen Schauspieler erinnerte. Auch er suchte eine neue Brille. Schon die zweite gefiel ihm, und er sagte: „Die nehme ich.“ Da sagte Karl: „Die gefällt mir auch.“ Der Mann nahm die Brille ab und setzte sie Karl auf.
„Ist die nicht etwas zu erwachsen für dich?“, fragte die Mutter.
Karl hörte gar nicht auf sie. Der Mann, der nicht der Schauspieler war, aber wie der Schauspieler aussah, drehte sich zu Karl um:
„Das willst du doch, erwachsen aussehen“, sagte er. „Ich lasse mir die Gläser noch etwas verdunkeln, das rate ich dir auch, das sieht extrem gut aus.“
Karl nickte, und die Verkäuferin schaute auf die Mutter.
„Auch verdunkeln, die Gläser des jungen Mannes?“ fragte sie. Die Mutter erschrak über den Preis, genierte sich aber etwas zu sagen. Sie kaufte die Brille, aber sie hatte sie wegen dem Mann gekauft und nicht wegen ihrem Karli. Sie war allein erziehend, und ihr hatte gefallen, wie der Bub von dem Mann beeindruckt war. Sah er nicht dem Schauspieler Bruce Willis ähnlich?

Zuerst wurde seine Sehstärke gemessen, die zeigte, dass eine Brille notwendig war. Karl probierte zwanzig Brillen. Keine gefiel ihm.

Mutter und Sohn verließen gleichzeitig mit dem Mann das Optikergeschäft.
„Zieh doch deine Brille gleich an“, sagte der Mann zu Karl. „Ich zieh meine auch an. Und?“
Sie drehten sich.
„Großartig“, sagte die Mutter, „die Verdunklung macht etwas! A day to die. Kennen Sie den Film?“
„Sie sagen das, weil ich eine Ähnlichkeit mit Bruce Willis habe? Das höre ich oft. Mögen Sie diesen Film?“
„Heftig“, sagte die Frau. „Karl durfte ihn nicht anschauen.“
„War nett, sie kennengelernt zu haben“, sagte der Mann, und gab Karl die Faust.
Dann war es das schon wieder, dachte sich die Mutter, und als Karl sie fragte, was denn mit ihr los sei, warum sie so traurig schaue.
„Ach nichts, mein Karli, wär schön gewesen, wenn er uns auf ein Getränk eingeladen hätte.“
„Der kennt uns doch gar nicht, Mama.“
„Du hast recht, und außerdem ist der echte Bruce Willis sehr krank. Er ist dement.“
„Was heißt denn das schon wieder?“

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.

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