Von mir aus kann es so bleiben
Genau drei Jahre habe ich jetzt den Hund, seit dem ersten Lockdown. Seither kriege ich, weil er mich täglich aus dem Haus treibt, viel mehr von den Veränderungen in der Natur mit und vom Wechsel der Jahreszeiten.
Selbst bin ich eigentlich nicht so ein Fan von Veränderungen, für mich ist es völlig okay, jeden Tag den gleichen Weg zu spazieren, besonders auf dem Land: Es verändert sich ohnehin jeden Tag etwas. Ich habe einen Lieblingsspazierweg, der an einem Fluss entlang führt; rechts rauscht und gurgelt das Wasser, links steigt der Laubwald an.
Ich bin den Weg schon hunderte Male gegangen, und kein einziges Mal wurde es mir langweilig. Dem Hund auch nicht, er schnüffelt den Hunden hinterher, die vor ihm auf dem Weg gingen, den Bibern und den anderen Tieren, die ihn kreuzten. Während ich mir bei jedem Gang anschaue, was sich alles verändert hat, und ob man den Frühling schon sieht.
Heute ist nicht nur offizieller Frühlingsbeginn, es ist auch Tag des Waldes, und auch im Wald ist der Frühling schon im vollen Gange. Die Blätter der Laubbäume sprießen noch nicht, noch ist es hell, nur im Winter lässt der Wald so viel Licht durch. Noch kann ich weit durch die kahlen Astgerüste hindurch sehen, in den Himmel, den Graureiher durchkreuzen, Enten und gestern, spektakulär schön, ein knallblauer Eisvogel.
Der Wald zeigt mir jedes Jahr den Frühling als erstes an, mit täglich neuen Farben. Zuerst: ein fast erschreckendes Knallrot auf der winterbraunen Erde: die Zinnoberroten (oder Scharlachroten) Kelchbecherlinge erscheinen gleich nach der Schneeschmelze auf Totholz, immer an den gleichen Stellen auf meinem Weg. Die Pilze sehen aus wie etwas aus einer anderen Welt, wie fleischfarbene Kelche gefüllt mit frischem Blut, ich kann mich nicht sattsehen an ihnen und muss sie jedes Mal wieder fotografieren.
Ab Mitte Februar suchen meine Augen beim Gehen den Waldboden ab, nach dem ersten leuchtenden Lila: Denn wenn die Leberblümchen durch die verrottenden Eichen- und Buchenblätter stoßen, dann ist es wirklich und unverhandelbar Frühling. Heuer ließen sie sich ein bisschen später blicken als letztes Jahr, aber längst leuchtet der Rand meines Weges violett vor lauter Leberblümchen und Taubennesseln, Veilchen sah ich auch schon, darüber flattern dekorativ Zitronenfalter. (Gestern beim Spaziergang, als ich einen fotografieren wollte, fiel mir auch zum ersten Mal auf, wie schnell Schmetterlinge sind.)
Unlängst ging ich einmal mit einem, der nicht immer den gleichen Weg gehen will. Andere Richtung, anderer Wald, wir überquerten einen kleinen Bach und fanden uns unvermittelt in einem endlosen Meer blühender Märzenbecher. Manchmal ist es doch gut, auch mal woanders zu gehen.
„Der Wald zeigt mir jedes Jahr den Frühling als erstes an, mit täglich neuen Farben.“
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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