Wegen Liebeskummer die Heimat verlassen

Vorarlberg / 27.03.2023 • 09:50 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Wegen Liebeskummer die Heimat verlassen
Miriam Pekar lebt seit 2002 in Vorarlberg. Die Slowakin fühlt sich hier sehr wohl. VN/Paulitsch

Als junge Frau flüchtete Miriam Pekar nach dem Ehe-Aus ins Ausland. Die Slowakin verbrachte ihr Leben abseits ihrer Heimat. Heute gibt die Künstlerin in Bregenz Malkurse für ukrainische Kriegsflüchtlinge.

Lauterach Miriam Pekar (62) hat Zeit. Denn die Slowakin ist seit zwei Jahren in Pension. Einen Teil ihrer Zeit schenkt die Künstlerin und Maltherapeutin ukrainischen Kriegsflüchtlingen. Sie malt mit ihnen jeden Donnerstag zwei Stunden im Begegnungscafé in Bregenz, „weil sie es brauchen und sie auf diese Weise ihre Erlebnisse nonverbal verarbeiten können“. Die Kriegsvertriebenen können malen, was sie wollen. „Es kommt spontan aus ihnen heraus. Wenn sie fertig sind, frage ich sie, was sie gemalt haben.“ Aber schon die Bilder sprechen Bände. „Manche haben schreckliche Erfahrungen gemacht.“ Die Arbeit mit den Vertriebenen macht auch mit Miriam etwas. „Meine Großmutter erzählte mir oft vom Krieg. Das kommt nun alles hoch.“ Es sind keine schönen Erinnerungen. „Oma beschmierte ihre Kleidung mit Tierkot, damit sie von den Russen nicht vergewaltigt wird.“

Miriam als Kind mit ihren Eltern, ihrer Großmutter und ihrem Hund Punto. <br>
Miriam als Kind mit ihren Eltern, ihrer Großmutter und ihrem Hund Punto.
Miriam im Alter von 15.
Miriam im Alter von 15.
Als 17-Jährige fotografierte Miriam für ihr Leben gern.
Als 17-Jährige fotografierte Miriam für ihr Leben gern.

Jeder einzelne Flüchtling berührt Miriam. Wie diese weiß sie, was es heißt, fern der Heimat zu leben. Aber im Gegensatz zu den Kriegsflüchtlingen verließ Miriam ihr Heimatland freiwillig – nach einer menschlichen Enttäuschung. „Nach der Trennung von meinem Mann 1989 packte ich meine Siebensachen und ging nach Österreich. Wenn man in einer Krise steckt, will man weit, weit weg gehen.“

Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte die Tochter einer Belgierin und eines Tschechen in Belgien. „Dann bin ich mit Mama zu Papa nach Bratislava übersiedelt.“ Miriam war als Kind ein Wildfang. „Ich bin auf jeden Baum geklettert.“ Aber noch lieber bemalte sie – zum Ärger ihrer Eltern – Wände, Böden, Stühle und Tische mit Stiften oder Mamas Lippenstiften. „Zeichnen war das Erste, was ich konnte.“ Im Kindergarten wurden ihre Bilder ausgestellt, so beeindruckt war man dort vom Zeichentalent des Mädchens. Als zu Hause einmal ein akademischer Maler auf Besuch kam und die Bilder des Mädchens zu Gesicht bekam, sagte er zu Miriams Eltern: „Ihr solltet euer Kind fördern.“ Aber der Vater vertrat eisern die Meinung: „Zuerst lernst du einen Brotberuf. Danach darfst du machen, was du willst.“

Die Künstlerin braucht viel Raum für ihre Kunst. <br>
Die Künstlerin braucht viel Raum für ihre Kunst.
Miriam Pekar beherrscht 19 verschiedene Maltechniken.
Miriam Pekar beherrscht 19 verschiedene Maltechniken.

Miriam hörte auf ihren Vater und absolvierte zunächst die Hotelfachschule. „Ich wollte aber nicht in diesem Beruf arbeiten. Ich habe dann die Kunstschule in Bratislava besucht.“ Mit 20 heiratete sie, mit 21 bekam sie Tochter Lucia. Mit 30 verließ sie die Slowakei in Richtung Österreich. „Ich habe in einem Hotel in Seefeld eine Anstellung als Kellnerin gefunden.“ Die Slowakin arbeitete hart. 16-Stunden-Tage waren die Regel. Nach neun Monaten wechselte Miriam die Arbeitsstelle. Zuvor holte sie aber noch ihre Tochter zu sich, die bis dahin bei ihrem Vater gelebt hatte. Weil Miriam in Tirol ganz auf sich allein gestellt war, war sie froh, dass ihre Chefin ihre Tochter unter die Fittiche nahm. „Sie kümmerte sich um Lucia, während ich arbeitete. Sie brachte ihr Skifahren bei, Reiten und Klavierspielen.“

Die Künstlerin bei einer ihrer Ausstellungen.
Die Künstlerin bei einer ihrer Ausstellungen.

Bis 1998 war Seefeld ihr Lebensmittelpunkt. „Dann wollte ich nicht mehr als Saisonier arbeiten und ging mit meiner Tochter nach Innsbruck.“ Dort war sie unter anderem im Hilton, im Casino und im Holiday Inn beschäftigt. Im Jahr 2000 lernte Miriam ihren jetzigen Mann kennen, einen Arzt. 2002 folgte sie ihm in seine Heimat Vorarlberg. Sie fand eine neue Arbeit bei einer Firma, die Dreh- und Fräsmaschinen verkaufte. „Elf Jahre lang habe ich für diesen Betrieb Telefonmarketing gemacht.“ 2016 verlor sie die Arbeit. Aus heutiger Sicht betrachtet war das ein Segen. Denn: „Dadurch habe ich zur Kunst zurückgefunden. Plötzlich hatte ich wieder den Drang zu malen. Das war für mich wie eine Befreiung. Es ist so eine Freude und Freiheit, sich Ausdruck verleihen zu können.“

Pekars Bilder gefallen.<br>
Pekars Bilder gefallen.
Pekars Bilder finden großen Anklang.
Pekars Bilder finden großen Anklang.

Ihre Bilder, die sie unter anderem im Kloster Mehrerau, auf Ärztekongressen und im Bregenzer Festspielhaus ausstellte, fanden großen Anklang. „Ich habe Aufträge bekommen und mich als Künstlerin selbstständig gemacht.“ Die Malerin stattet mit großer Freude Häuser und Wohnungen aus. Außerdem gibt die Künstlerin gerne Malunterricht. „Ich unterrichte 19 verschiedene Maltechniken.“ Dank ihrem Drang nach Neuem eignete sie sich jedes Jahr eine neue Technik an.

Die Künstlerin und Maltherapeutin gibt gerne Malunterricht.
Die Künstlerin und Maltherapeutin gibt gerne Malunterricht.

Miriam ist inzwischen auch mit ihrer Kunst in Vorarlberg angekommen. „Lange wollte ich zurück in die Slowakei. Heute möchte ich das nicht mehr.“ Heimat ist für sie dort, „wo man mich braucht, wo ich einen Lebenssinn habe, wo ich Menschen habe, die mir Geborgenheit vermitteln und wo ich frei bin.“

Eine von Miriams neun Katzen vor einem Bild, das sie gemalt hat.
Eine von Miriams neun Katzen vor einem Bild, das sie gemalt hat.

Miriam fühlt sich als Weltbürgerin und in Vorarlberg sehr wohl. „Ich bin so dankbar. Denn ich hab viel Glück gehabt im Leben.“ Ihr Herz ist übervoll vor Dankbarkeit und Glück, auch weil sie eine schwere Krankheit überwunden hat. „Das Leben ist wunderschön. Ich möchte mein Glück verschenken“, sagt die Künstlerin und beugt sich über den 15-jährigen Ukrainer Kolja, dessen Gesicht mit genähten Schnittverletzungen übersät ist. Kolja, dem nach einer Bombenexplosion Glassplitter ins Gesicht flogen, hat ein Bild gemalt, das tief blicken lässt. Die zackigen Strahlen der Sonne und die spitzen Äste des Baumes erinnern an Waffen und geben seiner Zeichnung etwas Bedrohliches.

Miriam Pekar

geboren 4. August 1960 in Bratislava

Wohnort Lauterach

Familienstand verheiratet, eine Tochter

Hobbys neun Katzen, Garten, Yoga, Meditation, Geschichte

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