Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Hase und Igel

Vorarlberg / 28.03.2023 • 07:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Üblicherweise ist die Angelobung eines Landeshauptmannes oder einer Landeshauptfrau durch den Bundespräsidenten ein routiniert ablaufender Formalakt. Letzte Woche war das anders.

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner bekam deutliche, mahnende Worte mit auf den Heimweg nach St. Pölten. Das war nicht die einzige für sie unerfreuliche Überraschung. Dass ihr FPÖ-Koalitionspartner Landbauer bei der Wahl zu ihrem Stellvertreter mehr Stimmen bekam als sie selbst, wird sie nicht gefreut haben. Aber gewählt ist gewählt – auch wenn die Konstellation „ich arbeite zwar mit dir zusammen, aber ich wähle dich trotzdem nicht“ schon sehr merkwürdig ist.


Nachdem die Kompromisslosigkeit der SPÖ bei verschiedenen Sachfragen („lasse mir lieber die Hand abhacken“) am Schluss langer Verhandlungen faktisch ein Verhandlungsabbruch war, wäre für die ÖVP als Alternative zur FPÖ noch eine Dreierkoalition mit Grünen und Neos möglich gewesen. Das ist der Landeshauptfrau aber offenbar als ein zu mühsames Projekt erschienen. Die Einbindung der FPÖ in eine Landesregierung ist zwar nichts Neues. Neu ist allerdings, dass nun in Niederösterreich Personen in einer Koalition sitzen, bei denen die Grenze zwischen blau und braun verschwommen ist.

Der deutsche Philosoph Karl Jaspers hat einmal die Herausforderung beschrieben, im Kampf mit dem Drachen nicht selbst zum Drachen zu werden. Mit dem Koalitionspakt haben sich die niederösterreichischen Türkisen dieser Gefahr ausgesetzt, das ist an verschiedenen Punkten des Arbeitsübereinkommens deutlich zu sehen. Einige wenige Beispiele: Der Ausgleich negativer Auswirkungen der Corona-Maßnahmen (der Pandemie selbst nicht?) und das Ausklinken aus Werbemaßnahmen für Corona-Impfungen tragen unverkennbar die Handschrift der FPÖ, ebenso die Ankündigung, die Verwendung der deutschen Sprache in Pausen und im Schulhof in den (eigentlich von den Schulen autonom festzulegenden) Hausordnungen verankern zu lassen. Als deutsch gilt aber überhaupt nur, was auf geschlechtergerechte (gegenderte) Sprache verzichtet. Dazu sollen eigene Leitlinien erarbeitet werden, die sich auch als Forderung an den Bund richten wollen. Gegen Radikalisierung und politischen Islam soll eine eigene Beobachtungsstelle eingerichtet werden – von der die eigene innenpolitische Radikalisierung natürlich nicht betroffen wäre

Die Strategie von Türkis und auch von Teilen der SPÖ gegenüber der FPÖ erinnert an ein bekanntes Märchen der Brüder Grimm. Im Wettlauf von Hase und Igel ist es für den schnellen Hasen frustrierend und letztlich erschöpfend, dass der langsame Igel immer rufen kann „Ich bin schon da“. Mit der FPÖ beim Themen-Wettlauf zu ihren Bedingungen mithalten zu wollen, kann – wie man an den Wahlergebnissen ablesen kann – ähnlich enden wie im Märchen.

Jürgen Weiss

juergen.weiss@vn.at

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.

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