Rote Tragödie in mehreren Akten
War die SPÖ wirklich so überrascht, dass 68 Männer und drei Frauen sich zutrauen, einen besseren Job als Pamela Rendi-Wagner oder Hans Peter Doskozil zu machen? Oder ist das breite Konkurrenzfeld vielmehr Absicht? Die Abfolge von taktischen Schritten zur Erhöhung der eigenen Chancen führte jedenfalls kerzengerade ins rote Chaos. Im ersten Akt lockte Rendi-Wagner ihren ewigen Kritiker Doskozil aus der Deckung. Eine Kampfabstimmung in den Parteigremien sollte sie mit der Unterstützung der mächtigen Wiener Landespartei, einiger Landeschefs und der Gewerkschaft locker gewinnen. Doch der Landeshauptmann aus dem Burgenland erkannte die Falle und plädierte für einen Basisentscheid. Wer kann schon dagegen sein, eine derart wichtige Frage den Mitgliedern zu überantworten? Zu Beginn des zweiten Aktes drehte sich die Ausgangslage zugunsten Doskozils.
Im dritten Akt betraten neue Mitspieler die Bühne. Aus einem wurden zwei, dann drei und wieder zwei und schließlich 72 Herausforderer. Da witterte die Parteileitung rund um Rendi-Wagner erneut ihre Chance. Durch die Spaltung des Lagers der Unzufriedenen rückt eine absolute Mehrheit für Doskozil in unerreichbare Ferne. Je diffuser das Ergebnis unter den Mitgliedern, desto größer die Chance, am Ende doch den Parteitag endgültig entscheiden zu lassen.
So wurde die Mitgliederabstimmung durch Berufung auf die Statuten zum Stimmungsbild degradiert. Diese Kritik nimmt Christian Deutsch gerne auf sich. Schließlich ist sein Schicksal in der Bundesparteizentrale eng mit seiner Vorsitzenden verknüpft. Doch der Bundesgeschäftsführer unterschätzt seinen Gegner im Spiel um die Macht. Der vierte Akt beginnt mit der erneuten Zuspitzung auf ein Zweierduell durch Doskozils Aussage, dass er selbst bei einer Stimme weniger als Rendi-Wagner oder einem anderen Kandidaten sich nicht mehr auf dem Parteitag bewerbe. Was er nicht verspricht, ist zukünftig Ruhe zu geben.
Netflix hätte an dieser Beziehungstragödie und den noch zu erwartenden Schachzügen seine Freude. Die alten und neuen Mitglieder der SPÖ wohl weniger, von künftigen Wählern ganz zu schweigen. Das ist bedauerlich, denn die Beitritte zur SPÖ in den letzten Tagen beweisen, wie vielen Menschen die Zukunft dieser Partei am Herzen liegt. Niemand hätte noch damit gerechnet, dass Möglichkeiten der Mitsprache und Beteiligung wieder politisches Engagement und Bekenntnis entstehen lassen.
Nun liegt es an den Haupt- und Nebendarstellern diese Chance nicht zur Selbstdemontage verkommen zu lassen. Denn der lachende Dritte ist nicht zwingend Teil der SPÖ.
„Durch die Spaltung des Lagers der Unzufriedenen rückt eine absolute Mehrheit für Doskozil in unerreichbare Ferne.“
Kathrin Stainer-Hämmerle
kathrin.stainer-haemmerle@vn.at
FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.
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