„Koalition befindet sich im Spätherbst“
Einmal mehr läuft es auf eine Neuwahl hinaus: Politologe Plasser erklärt, warum es so ist.
SCHWARZACH „Dass die nächste Nationalratswahl wirklich termingemäß im September 2024 stattfindet, davon gehe ich wirklich nicht mehr aus“, sagt der Politikwissenschaftler Fritz Plasser im Gespräch mit den VN. Es mag verrückt klingen, dass es einmal mehr zu dem kommt, was in Österreich als Neuwahl bezeichnet wird; damit gemeint ist ein vorzeitiger Urnengang. Schon 2017 und 2019 hatten Regierende beschlossen, eine Legislaturperiode mittendrinnen abzubrechen. Beide Male war Sebastian Kurz (ÖVP) vorgeprescht. Zunächst mit dem Argument, dass mit den Sozialdemokraten nur Stillstand herrsche, und dann, dass eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen aufgrund der Ibiza-Affäre nicht mehr möglich sei. Nicht bedeutungslos dürfte allerdings auch die Aussicht auf einen Wahlerfolg gewesen sein.
ÖVP und Grüne mit Verlusten
Heute ist das anders: Wenn am kommenden Sonntag gewählt werden würde, müsste die ÖVP befürchten, von 37,5 Prozent auf 22 Prozent abzustürzen. Das ist dem APA-Wahltrend zu entnehmen, der auf aktuellen Umfragewerten basiert. Auch die Grünen müssten mit Verlusten rechnen. Die Freiheitlichen würden vorne liegen.
Vor diesem Hintergrund würde es vernünftig erscheinen für Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vize Werner Kogler (Grüne), einfach nur konsequent weiterzuarbeiten. Laut Plasser werden jedoch Bruchlinien immer deutlicher: Nicht einmal mehr auf Maßnahmen wie eine Mietpreisbremse können sie sich verständigen. Nehammer hat in seiner Rede zur Zukunft der Nation wiederum die Klimakrise relativiert. Das gefiel den Grünen gar nicht. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sprach offen aus, dass er künftig lieber eine Koalition mit Sozialdemokraten und Neos hätte. Darüber zeigten sich Türkise verwundert, ist man in der Regierung doch noch nicht ganz fertig miteinander.
„Die Koalition befindet sich im Spätherbst“, sagt Plasser: „Sie hat ein Ablaufdatum.“ Für beide Seiten ist klar, dass es nach der nächsten Wahl keine Mandatsmehrheit mehr für eine Zusammenarbeit geben werde: „Das ist völlig ausgeschlossen.“
Diese Aussicht reduziere die Bereitschaft, zu Kompromissen zu kommen und fördere das Bemühen, das eigene Profil wieder stärker hervorzuheben. Für die ÖVP gehe es etwa darum, einen Teil der Wählerschaft bei Laune zu halten, den Kurz den Freiheitlichen abgenommen hat. Das führt automatisch zu Spannungen mit den Grünen.
Wie geht es mit der SPÖ weiter?
Sollte es hier zu keiner Eigendynamik kommen, an deren Ende die Koalition quasi unkontrolliert platzt, werden laut Plasser zwei Ereignisse entscheidend sein für den Neuwahltermin: Zunächst die Bestätigung von Pamela Rendi-Wagner als SPÖ-Vorsitzende oder die Kür eines Nachfolgers, einer Nachfolgerin. Davon hängt ab, ob die Sozialdemokratie eher länger keine ernstzunehmende Mitbewerberin ist oder ob sie bald wieder erstarken könnte. Dann müsste man, wenn man von ihrer Schwäche profitieren möchte, bald wählen.
Darüber hinaus ist relevant, dass im Mai 2024 eine Europawahl stattfindet. Aus heutiger Sicht zeichnet sich hier ein FPÖ-Triumph ab. Sprich: Unmittelbar danach würde die ÖVP mit Karl Nehammer, die bisher vorne lag, schwer geschwächt in eine Nationalratswahl ziehen. Laut Plasser wird sie versuchen, sich das durch ein entsprechende Terminwahl zu ersparen. JOH
„Dass die nächste Nationalratswahl wirklich termingemäß im September 2024 stattfindet, davon gehe ich wirklich nicht mehr aus.“
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