„Erde ist trotz allem randvoll mit Himmel“

Vorarlberg / 05.04.2023 • 17:58 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Generalvikar Hubert Lenz sammelt Ikonen von Rudi Jankovic. Sein Wohnzimmer ist auch Gebetsraum. Hier hat er die Lockdowns verbracht. Thomas Matt
Generalvikar Hubert Lenz sammelt Ikonen von Rudi Jankovic. Sein Wohnzimmer ist auch Gebetsraum. Hier hat er die Lockdowns verbracht. Thomas Matt

Generalvikar Hubert Lenz sammelt Ikonen, weil sie ihm einfach Halt geben.

Feldkirch Der Gründonnerstag ist ein Tag voller Intimität. Die Zeit der öffentlichen Auftritte ist vorüber. Jesus aus Nazareth hat sich mit seinen engsten Vertrauten zurückgezogen. Unheil liegt in der Luft. Vor Tagen noch haben ihn die Menschen jubelnd in Jerusalem willkommen geheißen. Jetzt wird er mit den Jüngern zum letzten Mal zu Abend essen. 24 Stunden später ist Jesus bereits tot.

Ein Raum in einem Obergeschoss, vollgepackt mit Angst und Unsicherheit, Unverständnis und Ohnmacht. „Für mich ist der Gründonnerstag vor allem der Vorabend des Karfreitag“, sagt Generalvikar Hubert Lenz. Er hat in seinem Wohnzimmer Platz genommen. „Das hier war der Mittelpunkt meines Lockdowns.“ Ein Sofa, der Blick auf die Berge und an den Wänden Ikonen. Große Bilder in strahlenden Farben und goldenem Hintergrund. „Für mich ist das mein Gebetsraum“, bekräftigt der Generalvikar, der vor 30 Jahren in der Pfarre Tosters sein Praktikum absolviert hat. Er vergleicht die Ikonen mit einer Wand, um sich anzulehnen: „Sie gibt mir Halt.“ Die Ikonen hat Rudi Jankovic geschrieben. Der 85-jährige gebürtige Bosnier lebt mit seiner Frau in Tosters.

Zum Gründonnerstag hat Jankovic die beiden zentralen Ereignisse auf Holz gebannt: das letzte Abendmahl und die Fußwaschung. Denn bevor sie zu Tisch sitzen in Jerusalem, nötigt Jesus die Jünger noch zu einer sonderbaren, verstörenden Geste. Er, von dem sie inzwischen glauben, dass er größer ist als alle Menschen, wäscht ihnen die Füße. Sie wehren sich. Aber er lässt nicht locker und erklärt ihnen am Schluss: „Ich habe Euch ein Beispiel gegeben, damit auch Ihr so handelt.“

Ein Beispiel ohnegleichen

Die Ikonen in der ukrainisch-orthodoxen Kirche mit Patriarchat Kiew, in der ukrainisch-orthodoxen Kirche mit Patriarchat Moskau und in der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche erzählen alle dieselbe Geschichte von grenzenloser Demut und dem Dienst am Nächsten. „Und doch spiegeln die drei großen Kirchen der Ukraine den Krieg wider“, bedauert Lenz, der einen ukrainischen Theologie-Studenten begleitet. „Wenn Russland gewinnt“, ist er überzeugt, „werden die beiden anderen Kirchen ausgelöscht.“ Dabei haben alle ihre Söhne und Töchter im Krieg.

So erhält diese Karwoche eine tiefe Aktualität. Beim letzten gemeinsamen Abendessen teilt Jesus nach dem Zeugnis des Neuen Testaments mit den Aposteln Brot und Wein. Dazu spricht er die Worte „dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“, „dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird“. Seinen abschließenden Satz „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ hat die Kirche von Anfang an als Auftrag verstanden. Seither feiert sie Eucharistie. Das Wort ist griechisch und bedeutet „Danksagung“. Sie ist das Zentrum der Gottesdienste. Während der Eucharistie bittet der Priester Gott darum, dass sich Brot und Wein in Jesu Leib und Blut verwandeln. „So wird Gott heilend gegenwärtig.“ Hubert Lenz muss an die vermehrten Beichtgespräche denken, die er dieser Tage führt. „An die große Gottverlassenheit, die heute so viele Menschen spüren.“ Aber auch an Jesus von Nazareth, der „wie viele andere Menschen auch“ sein Kreuz getragen hat, „an seine große Solidarität mit den Menschen, denen es schlecht geht“. Insofern gestatten die Ikonen mit ihrem goldenen Hintergrund tatsächlich den Blick in eine andere, eine gewandelte Welt.

„So kann der Mensch auch sein“, würde es die Rankweiler Theologin Maria Duffner ausdrücken, die immer wieder dankbar ist „für das, was möglich ist“. Und Hubert Lenz ergänzt: „Bei all dem Elend, angesichts von Krieg und Vertreibung, gilt für mich: Die Erde ist trotzdem randvoll mit Himmel.“ TM

Die Ikone erzählt die Szene der Fußwaschung. Sie trägt den Titel „Der Wäscher“ und zeigt noch einmal deutlich, wie der Größte sich erniedrigt, um den anderen zu dienen. Hubert Lenz
Die Ikone erzählt die Szene der Fußwaschung. Sie trägt den Titel „Der Wäscher“ und zeigt noch einmal deutlich, wie der Größte sich erniedrigt, um den anderen zu dienen. Hubert Lenz

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