“Menschen traten mir ins Gesicht”

14 Jahre lang war die Straße das „Zuhause“ von Janita-Marja Jovoven (42).
Schwarzach Janitas Eltern waren drogenabhängig. Deshalb wurden Janita und ihre Schwester in die Obhut von Pflegeeltern gegeben. Mit 14 büxte Janita aus und landete auf der Straße. Dort kam sie mit Drogen in Kontakt und wurde süchtig. „Ich musste mich betäuben, damit ich das Leben auf der Straße aushalte.“ Heute ist die Dortmunderin clean und führt ein glückliches Leben als Bloggerin, ist auf Instagram und Facebook aktiv und gibt für Jugendliche Workshops zum Thema Obdachlosigkeit.
Janita erzählt aus ihrem früheren Leben als Obdachlose: „Mein Schlafzimmer war unter einer Brücke, dort habe ich gewohnt. Dort war es windgeschützt. Dort hatte ich ein Dach über dem Kopf. Privatsphäre hatte ich an diesem Ort aber nicht. Menschen betraten einfach meine Wohnung und machten Fotos von mir und meinen Sachen, als wäre ich irgendein Tier im Zoo. Trotzdem wurde dieser Platz zu meinem Zuhause. Man braucht einen Ort, an dem man für sich sein kann, fernab von unfreundlichen Menschen und dem Trubel der Stadt.
Den Bereich unter der Brücke, den ich mir mit einem Mann geteilt habe, haben wir uns in verschiedene Räume aufgeteilt. Es gab den Schlafbereich, an der Ecke konnte man pinkeln und ein paar Meter weiter sein Geschäft verrichten. Wir hatten auch einen Müllablageplatz und einen kleinen Kleiderschrank, in dem wir unsere Sachen verstauten. Mein Zuhause habe ich mir, soweit es ging, gemütlich eingerichtet. Ich habe mir neben meinem Bett eine Art Nachtkästchen gebaut, auf dem ich im Winter Kerzen anzündete. Auch einige meiner Bekannten versuchten, sich auf der Straße wohnlich einzurichten. Sie hausten in Zelten und stellten sich Kuscheltiere oder Blumen vor den Zelteingang.
Durch die Flammen geflüchtet
Mein Heim wurde immer wieder zerstört. Man entfernte Gebüsche, hinter denen ich Schutz gefunden hatte. Es kam regelmäßig ein Müllwagen, der all unsere Sachen mitgenommen hat. Für die Gesellschaft war es Müll, für uns war es alles, was wir besaßen. Ganz schlimme Momente waren für mich, als nachts mein Zuhause unter der Brücke, ein Bretterverschlag, angezündet wurde. Es kam jemand, der wusste, dass ich da liege und der hat einfach Feuer gelegt. Ich konnte nur durch die Flammen flüchten. Es war schrecklich. So war das immer – stets war ich rücksichtslosen Menschen ausgesetzt. Sie haben auch Essensreste unter unsere Brücke geworfen, in der Hoffnung, dass Ratten kommen und wir das Weite suchen. Noch schlimmer als der Brandanschlag war für mich der Moment, als plötzlich meine Schwester vor mir stand. Sie hatte mich gesucht und mich unter der Brücke gefunden. Ich schämte mich zutiefst vor ihr. Eines Tages kamen Polizisten und vertrieben mich. Sie bauten ein Gitter um mein Zuhause und erteilten mir Platzverbot. Jahrelang hatte ich unter der Brücke gelebt. Mein ,Heim‘ war eine Konstante in meinem Leben. Sie wurde mir von heute auf morgen geraubt. Ich habe dann an anderen Orten geschlafen, im Winter in Hauseingängen. Dort ist man aber angreifbar. Es gab immer wieder Menschen, die mir ins Gesicht traten oder mich anpinkelten.
Ich traf mich gerne mit anderen obdachlosen Menschen – an Orten, die in gewisser Weise gemütlich waren. Zum Beispiel verbrachte ich mit Bekannten oft Zeit vor einem Abluftschacht, der uns im Winter durch die herausströmende warme Luft vor der Kälte schützte. Wir saßen dort, redeten und waren froh über den sozialen Austausch. Die Stadt nahm uns diesen Ort, in dem sie rundherum eine Hecke einpflanzte. Wohl oder übel musste ich auch auf diesen wichtigen Raum in meinem Leben verzichten. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, nichts wert zu sein. Die defensive Architektur nahm mir den Zugang zu vielen Orten. Mit Steinen und Stacheldrähten wurden Plätze bewusst unzugänglich gemacht. Ich durfte keinen Raum einnehmen. Aber ich war da, ich existierte genauso wie die anderen Menschen. 14 Jahre lebte ich auf der Straße. Nur drei Mal übernachtete ich in einer Notschlafstelle. Dort hatte ich das Gefühl, ich würde unter den anderen stehen, seien es Sozialarbeiter oder andere Obdachlose. Zum Essen war ich öfters in Einrichtungen. Wir kochten zusammen. Das fand ich schön, weil es mir ein Gemeinschaftsgefühl vermittelte und ich mit Menschen auf Augenhöhe reden und lachen konnte.“ VN-kum

Instagram Profil https://www.instagram.com/einmal_absturz_und_zurueck/“
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.