Obdachlose Frau: “Menschen traten mir ins Gesicht und pinkelten mich an”

Die Straße war 14 Jahre lang das Zuhause von Janita Marja Jovoven . Heute ist die 44-jährige Essenerin als Bloggerin aktiv und gibt Workshops zum Thema Obdachlosigkeit.
Schwarzach Janitas Eltern waren drogenabhängig. Deshalb wurden Janita und ihre Schwester in die Obhut von Pflegeeltern gegeben. Mit 14 büxte Janita aus und landete auf der Straße. Dort kam sie mit Drogen in Kontakt und wurde süchtig. „Ich musste mich betäuben, damit ich das Leben auf der Straße aushielt.“ Heute ist die Essenerin clean und führt ein glückliches Leben als Bloggerin, ist auf Instagram und Facebook aktiv und gibt für Jugendliche Workshops zum Thema Obdachlosigkeit.
Janita erzählt aus ihrem früheren Leben als Obdachlose: „Mein Schlafzimmer war unter einer Brücke, dort habe ich gewohnt. Dort war es windgeschützt. Dort hatte ich ein Dach über dem Kopf. Privatsphäre hatte ich an diesem Ort aber nicht. Menschen betraten einfach meine Wohnung und machten Fotos von mir und meinen Sachen, als wäre ich irgendein Tier im Zoo. Trotzdem wurde dieser Platz zu meinem Zuhause. Man braucht einen Ort, an dem man für sich sein kann, fernab von unfreundlichen Menschen und dem Trubel der Stadt.

Den Bereich unter der Brücke, den ich mir mit einem Mann geteilt habe, haben wir uns in verschiedene Räume aufgeteilt. Es gab den Schlafbereich, an der Ecke konnte man pinkeln und ein paar Meter weiter sein Geschäft verrichten. Wir hatten auch einen Müllablageplatz und einen kleinen Kleiderschrank, in dem wir unsere Sachen verstauten.
Mein Zuhause habe ich mir, soweit es ging, gemütlich eingerichtet. Ich habe mir neben meinem Bett eine Art Nachtkästchen gebaut, auf dem ich im Winter Kerzen anzündete. Auch einige meiner Bekannten versuchten, sich auf der Straße wohnlich einzurichten. Sie hausten in Zelten und stellten sich Kuscheltiere oder Blumen vor den Zelteingang.

Mein Heim wurde immer wieder zerstört. Man entfernte Gebüsche, hinter denen ich Schutz gefunden hatte. Es kam regelmäßig ein Müllwagen, der all unsere Sachen mitgenommen hat. Für die Gesellschaft war es Müll, für uns war es alles, was wir besaßen.
Ganz schlimme Momente waren für mich, als nachts mein Zuhause unter der Brücke, ein Bretterverschlag, angezündet wurde. Es kam jemand, der wusste, dass ich da liege und der hat einfach ein Feuer gelegt. Ich konnte nur durch die Flammen flüchten. Es war schrecklich. So war das immer – stets war ich rücksichtslosen Menschen ausgesetzt. Sie haben auch Essensreste unter unsere Brücke geworfen, in der Hoffnung, dass Ratten kommen und wir das Weite suchen.

Noch schlimmer als der Brandanschlag war für mich der Moment, als plötzlich meine Schwester vor mir stand. Sie hatte mich gesucht und mich unter der Brücke gefunden. Ich schämte mich zutiefst vor ihr.
Eines Tages kamen Polizisten und vertrieben mich. Sie bauten ein Gitter um mein Zuhause und erteilten mir Platzverbot. Jahrelang hatte ich unter der Brücke gelebt. Mein ,Heim‘ war eine Konstante in meinem Leben. Sie wurde mir von heute auf morgen geraubt. Ich habe dann an anderen Orten geschlafen, im Winter in Hauseingängen. Dort ist man aber angreifbar. Es gab immer wieder Menschen, die mir ins Gesicht traten oder mich anpinkelten.

Ich traf mich immer gerne mit anderen obdachlosen Menschen – an Orten, die in gewisser Weise gemütlich waren. Zum Beispiel verbrachte ich mit Bekannten oft Zeit vor einem Abluftschacht, der uns im Winter durch die herausströmende, warme Luft vor der Kälte schützte. Wir saßen dort, redeten und waren froh über den sozialen Austausch.
Das Gefühl, nichts wert zu sein
Die Stadt nahm uns diesen Ort, in dem sie rundherum eine Hecke einpflanzte. Wohl oder übel musste ich auch auf diesen wichtigen Raum in meinem Leben verzichten. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, nichts wert zu sein. Die defensive Architektur nahm mir den Zugang zu vielen Orten. Mit Steinen und Stacheldrähten wurden Plätze bewusst unzugänglich gemacht. Ich durfte keinen Raum einnehmen. Aber ich war da, ich existierte genauso wie die anderen Menschen.
14 Jahre lebte ich auf der Straße. Nur drei Mal übernachtete ich in einer Notschlafstelle. Dort hatte ich das Gefühl, ich würde unter den anderen stehen, seien es Sozialarbeiter oder andere Obdachlose. Zum Essen war ich aber öfters in Einrichtungen. Wir haben zusammen gekocht. Das fand ich schön, weil es mir ein Gemeinschaftsgefühl vermittelte und ich mit Menschen auf Augenhöhe reden und lachen konnte.“
Mehr zu Janita Jovoven
Ihr Blog: https://janitas-blog.jimdofree.com/
Ihr Instagram Profil: https://www.instagram.com/einmal_absturz_und_zurueck/“
Audiowalk in Dornbirn bis 17. April
Nadja Gabriel (21) aus Feldkirch studiert an der Fachhochschule Dornbirn InterMedia. Im Rahmen dieses Studiums lernen die Studenten am Beispiel einer selbstgewählten Aufgabenstellung gestalterische Themen umzusetzen. Sie definieren ihre persönliche Forschungsfrage und suchen Antworten auf noch ungelöste Gestaltungsfragen. Nadja interessierte sich zunächst für das Thema Diskriminierung bzw. Vorurteile. Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Thema richtete sich ihr Fokus auf obdachlose Menschen. „Ihnen gegenüber hegt man viele Vorurteile: Sie sind aggressiv oder zu faul zum Arbeiten, um nur zwei zu nennen.“ Der FH-Studentin war dann schnell klar, was für ein Projekt sie ausarbeiten wollte. „Mir war es ein Anliegen, die Lebensrealität von Menschen am Rande der Gesellschaft sichtbar zu machen und mehr Verständnis für diese Menschen zu wecken.“ Über Instagram kam sie mit einer ehemaligen obdachlosen Frau in Kontakt (Janita – siehe oben). Gemeinsam mit drei Kolleginnen von der Uni Liechtenstein interviewte sie die Deutsche und bekam einen Einblick in das Leben von obdachlosen Menschen. Nadjas Projekt gipfelte schließlich in einem Audiowalk, welchem noch bis zum 17. April in Dornbirn gefolgt werden kann (ab der Fachhochschule). „Er hat fünf Stationen. Man muss nur mit dem Handy den QR-Code abscannen, dann kann die Audiodatei abgehört werden“, erklärt die FH-Studentin, deren Projekt mit einer Eins benotet wurde.




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