Wildbiologe warnt: “Begegnung mit Bären auch bei uns jederzeit möglich”

Großraubtier-Wiederansiedlung aus dem Ruder gelaufen. Konflikte auch in Vorarlberg wahrscheinlich.
Bregenz Die tödliche Bärenattacke auf einen Jogger (26) im italienischen Trentino hat eine heftige Debatte ausgelöst, die auch nach Vorarlberg ausstrahlt. Die Wiederansiedlung von Großraubtieren ist außer Kontrolle geraten. Die Population an Bären im benachbarten Südtirol hat mittlerweile eine Größe erreicht, die Tiere zur Abwanderung zwingt. “Sie werden sich weiter ausbreiten und auch bei uns auftauchen”, sagt Hubert Schatz, Wildbiologe des Landes. Begegnungen mit Menschen könnten demnach jederzeit möglich sein.

Das EU-Projekt “Life Ursus” war gut gemeint. 1999 wurden ein Dutzend Bären aus Slowenien in die Region Trentino-Südtirol gebracht und ausgesetzt. Pläne sahen vor, dass ihre Population irgendwann auf bis zu 50 Tiere anwächst. Das Programm ist allerdings aus dem Ruder gelaufen. Behörden schlagen Alarm. Rund 100 Bären leben demnach heute in der Region, haben zuletzt auch mehrfach Menschen angegriffen.

Andrea Papi ist jener 26-jährige Jogger, der sein Leben bei Caldes im Tal Val di Sole verlor. Regionalpräsident Mario Fugatti hatte umgehend die Tötung des Tieres und anderer Problembären angeordnet. Er fordert, es müsse gegen die Überpopulation vorgegangen werden. Gerichte haben den Abschussbefehl auf Betreiben von Tierschutzorganisationen aber bereits wieder ausgesetzt.

Die Jagd auf den Bär mit dem Code JJ4 muss bis zur nächsten gerichtlichen Anhörung am 11. Mai gestoppt werden. Erinnerungen werden wach. Im Mai 2006 hatte ein Bär mit dem Code JJ1 auch in Vorarlberg eine Spur der Verwüstung hinterlassen. In einem Stall in St. Gallenkirch hatte er ein Schaf gerissen, Wochen später wurde er nach einem Abschussbefehl als “Problembär Bruno” in Bayern erlegt. Heute steht fest: laut DNA-Abgleich handelt es sich bei JJ4 um die Schwester des damaligen Problembären Bruno.

Es dürfe bei notwendigen Abschüssen keine Tabus geben, sagt Wildbiologe Hubert Schatz. Problemtiere müssten demnach sofort entnommen werden. “Das dient auch dem Erhalt ihrer Art.” Es gehe nicht generell um Bär oder Wolf, sondern um problematische Einzeltiere oder die Größe der Population. “Es müssen Regulierungsmöglichkeiten geschaffen werden. Da ist die EU längst gefordert”, so Schatz.

Die Analyse des Experten ist ernüchternd. Man habe eine grenzenlose Entwicklung von Großraubwildtieren ohne gegenzusteuern und zu regulieren zugelassen. Sie hätten sich stark vermehrt. “Wir müssen davon ausgehen, dass sie auch bei uns auftauchen. Vorkommnisse wie jene mit Bruno vor 17 Jahren sind jederzeit wieder möglich”, so Schatz im Gespräch mit den VN.

Die Wiederansiedlung der Bären im Trentin dürfte bald auch Folgen für andere Regionen haben. “Durch Nichtregulieren der letzten Jahre wird das Abwandern gefördert”, sagt Wildbiologe Schatz. Junge männliche Tiere verlassen demnach die Gegend. Es sei bei Großraubwildtieren ein auffälliger Zug Richtung Norden feststellbar. Tirol sei besonders stark betroffen, Vorarlberg liege am Rande der Wanderroute. Das Montafon, der Arlberg oder das Klostertal würden am ehesten betroffen sein, glaubt Schatz.

Begegnungen mit Bären auch in Vorarlberg – damit müsse man jederzeit rechnen, so der Wildbiologe. Vorkehrungen könnten keine getroffen, allenfalls Verhaltensregeln befolgt werden. “Es werden Jungbären auf Wanderschaft sein, die vielleicht auch für kurze Zeit bleiben. Dass sie sich hier ansiedeln, halte ich aber für unwahrscheinlich.”

Nach der tödlichen Attacke im Trentin wird die Debatte zwischen Zusammenleben von Mensch und Großraubwild auch in Vorarlberg wieder aufflammen. Problembären könnten auch hier zur Gefahr werden, erinnert Hubert Schatz an JJ1 (Bruno). Wäre er damals in jenem St. Gallenkirchner Stall auf den Bauern getroffen, hätte das fatale Folgen haben können, so der Landes-Wildbiologe.
Problembär Bruno in Vorarlberg
5. bis 9. Mai 2006: Bruno stattet in Klösterle und Schruns diversen Wildfütterungsstellen Besuche ab.
9./10. Mai 2006: In St. Gallenkirch dringt der Bär in der Nacht in einen Stall ein und reißt ein Schaf; zwei weitere müssen notgeschlachtet werden.
10./11. Mai 2006: Am Ortsrand von Gargellen bricht er die Tür eines Schafstalls auf und tötet einen Zuchtwidder. In derselben Nacht hat er es auf einen leeren Schweinestall – 15 Meter neben dem Wohnhaus – abgesehen. Dort leert er ein Plastikfass mit Speiseabfällen.
11./12. Mai 2006: Bruno beschädigt in Gargellen einige in Hofnähe gelagerte Siloballen. Zudem wird ein Schaden an einer Wildfütterungsstelle gemeldet.
26. Juni 2006: Bruno wird auf Weisung der bayerischen Landesregierung erschossen, nachdem er mehrfach in die Nähe von Siedlungen kam und eine Reihe von Schafen riss.
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