Zurück in die Zukunft
Wer versucht, die Nebengeräusche des politischen Alltags zu überhören und allein auf den Inhalt zu achten, der erkennt, dass es recht still geworden ist. Das mag in Vorarlberg auch so sein, es ist jedenfalls in der Bundesregierung der Fall.
Kommenden Donnerstag ist Bundeskanzler Karl Nehammer exakt 500 Tage im Amt. Es bleiben ihm – je nachdem, wann konkret gewählt wird – rund ebenso viele Tage als Kanzler. Die erste Halbzeit war von Krisenmanagement geprägt. Krisen, nah bei den Menschen mit Kriegsfolgen, Teuerung, Inflation. Und solche, die nah der eigenen Partei waren. Was sind angesichts des Anbruchs der zweiten Halbzeit die Herzensprojekte des Kanzlers? Was soll in den kommenden Monaten entstehen, das bleibt?
Beim Kanzlergespräch, zu dem Nehammer Chefredakteure regelmäßig ins Ministerratszimmer einlädt, nennt er am Freitag folgende drei Punkte: 1) Leistung soll sich lohnen im Gegensatz zu Sozialleistungen. So sollen unter anderem Überstunden weniger besteuert werden. 2) Der Transformationsfonds soll auf Schiene gebracht werden, um den Wandel der Industrie hin zu Nachhaltigkeit zu unterstützen. Und 3) sollen UVP-Verfahren beschleunigt werden.
„Herzensprojekte“ wolle er die Themen dann doch nicht nennen, ansonsten verlange der Regierungspartner zu viel Gegenleistung dafür. Die Bemerkung verdeutlicht den aktuellen Zustand der Regierungszusammenarbeit. Viel geht nicht mehr – und wenn, muss gedealt werden. Du bekommst ein Ja zu deinem Wunsch, wenn wir dafür einen Teil unserer Wünsche erfüllt bekommen.
Der Kanzler beantwortet Fragen, es werden die Schwerpunkte seiner aktuellen Gedankenwelt erkennbar. Geopolitik bewegt und interessiert ihn. Migration, Afrika, Indien – europäische Diskussionen, gesamteuropäische Lösungen. Und Autos. E-Fuels, um nicht die Elektromobilität allein akzeptieren zu müssen, sondern auf offenbar zukünftige Entwicklungen zu hoffen. Die meisten Wissenschafter teilen Nehammers Begeisterung für synthetische Kraftstoffe aktuell ja nicht, aber hey, vielleicht ergibt sich ja was bis zu den Wahlen kommendes Jahr. Möglicherweise beim „Autogipfel”, der nach dem Gespräch im Kanzleramt per Pressemitteilung gleich zur „Autowoche” aufpoliert wurde. Als Provokation für den grünen Regierungspartner sei das freilich nicht gedacht, erwähnte der Kanzler.
Erst nach einer Stunde fällt das Wort, das auf den Menschen dieses Landes aktuell wie ein Schatten liegt: Inflation, Teuerung. Als wäre sie überstanden. Die Vergleiche in der Euro-Zone seien nicht gerecht, rechnet Nehammer vor. Die Warenkörbe zur Berechnung der Werte höchst unterschiedlich. Das oft zitierte Spanien sei das untauglichste Beispiel überhaupt mit Verweis auf die dortige Jugendarbeitslosigkeit und den spanischen Haushaltseinkommensverlust von 6 Prozent, während in Österreich die Haushaltseinkommen gestiegen seien. Der Kanzler sieht Hoffnungszeichen, dass die Inflation weiter zurückgehen wird, auch weil die Energiepreise in die richtige Richtung gingen. (Tatsächlich sind die Kundentarife in Vorarlberg erst vor 14 Tagen massiv erhöht worden.) Konkrete weitere Hilfen wurden nicht angekündigt, auch weil durch Abschaffung der kalten Progression viele Bürger ohnedies mehr Nettoeinkommen verzeichnen würden. Der Finanzminister werde aber weiter „genau hinschauen”.
Und so blieb es bei der „Autowoche“, die als Ablenkungsmanöver bezeichnet werden muss. Es sollen vor allem E-Fuels diskutiert werden. Zurück in die Zukunft.
Währenddessen haben die Hersteller längst Elektromobilität in den Mittelpunkt gestellt. Die Automobilindustrie ist weiter, als der Bundeskanzler offenbar wahrhaben will.
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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