“Autoland Österreich” sucht nach Alternativen

Es bleiben nur wenige Jahre, um Alternativen zum Verbrennungsmotor zu etablieren. Nehammers Vorschlag zu E-Fuels sorgt für Kritik.
Wien Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) lud am Mittwochnachmittag zum „Autogipfel“, um mit Vertretern aus Wissenschaft und Industrie über die Zukunft der Automobilbranche in Österreich zu sprechen. Unter anderem standen die umstrittenen E-Fuels auf der Tagesordnung. Nehammers Positionierung sorgt jedoch auch für Kritik aus Wirtschaft und Wissenschaft. Dem Bundeskanzler wird strategische Kurzsichtigkeit vorgeworfen.
Wieso gibt es den Autogipfel? In Österreich sind 80.000 Menschen im gesamten Automobilbereich beschäftigt. Die Branche muss sich jedoch angesichts der europäischen Klimaziele in ganz Europa neu finden. In seiner „Rede zur Zukunft der Nation“ sprach sich Nehammer erstmals dezidiert gegen das endgültige Aus für Verbrennungsmotoren aus und nannte Österreich ein „Autoland“. Der Gipfel soll nun beim Finden von Alternativen helfen.
Welche EU-Vorgaben gilt es zu erfüllen? Viel Zeit bleibt nicht mehr. In der EU dürfen bereits ab 2035 keine Neuwagen mehr verkauft werden, die mit Benzin oder Diesel fahren. Die EU-Staaten beschlossen Ende März endgültig ein weitgehendes Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor. Deutschland blockierte monatelang die Entscheidung. Daher kam es nun zu einem Kompromiss: Demnach dürfen auch nach 2035 Neuwagen mit Verbrennungsmotor in der EU zugelassen werden, wenn sie mit E-Fuels betankt werden.
Wieso setzte die EU diese Maßnahme? Der Verkehrssektor zählt zu den Hauptverursachern für Treibhausgasemissionen. Dabei ist der höchste Anteil der Emissionen im Verkehr auf den Straßenverkehr und hier insbesondere auf den Pkw-Verkehr zurückzuführen, informiert das österreichische Umweltbundesamt. Auch in Österreich gibt es Aufholbedarf: Mit insgesamt rund 21 Millionen Tonnen hat der Verkehr 2021 um über 50 Prozent mehr CO2 verursacht als im Jahr 1990.
Was hat es mit E-Fuels auf sich? E-Fuels sind Treibstoffe, die nicht aus fossilem Erdöl, sondern aus Strom gewonnen werden. Das „E“ in E-Fuels steht für Elektro, Fuel wiederum ist das englische Wort für Kraftstoff.
Warum steht Nehammers Vorstoß zu E-Fuels in der Kritik? „Aus technischer Sicht sind E-Fuels sehr ineffizient – das setzt sich in der ökonomischen Analyse natürlich fort“, sagt Sigrid Stagl, Umweltökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien, den Vorarlberger Nachrichten. Denn zur Herstellung von E-Fuels ist viel Strom notwendig: Für einen Liter E-Fuel braucht man 16 bis 27 Kilowattstunden Strom. Sinnvoll ist der Einsatz nur dort, wo es keine Alternativen gibt. „Wir werden erneuerbaren Strom bis auf absehbare Zeit nur noch in sehr knapper Form zur Verfügung haben. Deswegen sollten wir uns nicht den Luxus gönnen, eine sehr ineffiziente Technologie breit zu nutzen“, so die Umweltökonomin. Das bedeute nicht, dass E-Fuels gar nicht eingesetzt werden können, sagt Stagl: „Im Flugverkehr und in der Schifffahrt wird man sie vermutlich nutzen müssen. Aus ökonomischer Sicht wäre es aber die rationale Vorgehensweise, E-Fuels nur dort zu nutzen, wo es nicht anders geht.“
Bringen E-Fuels den Konsumenten finanziell etwas? Kurz gesagt: Nein. Denn die aufwendige Herstellung inklusive hohem Stromverbrauch macht diese Art des Antriebs noch sehr teuer, worauf auch Umweltökonomin Sigrid Stagl hinweist: „Wer möchte vier oder fünf Euro pro Liter bezahlen, wenn es eine deutlich günstigere Form gibt? Leute, die sich ein derartiges Fahrzeug angeschafft haben, könnten sich in Zukunft in die Irre geführt fühlen.“
Wozu raten Wirtschaftsexperten? „Die Strukturveränderung, die ansteht, zu verzögern, ist normalerweise nicht so geschickt“, sagt Stagl. Batterietechnologie und Elektromobilität würden ganz klar in China vorangetrieben, so die Expertin. Das erinnert an die europäischen strategischen Versäumnisse in Sachen Solarpaneele, die aktuell zu 80 Prozent in China hergestellt werden. In den letzten zehn Jahren hat China etwa 49 Milliarden Euro in Photovoltaik-Produktionskapazitäten investiert – zehnmal so viel wie Europa. Die zehn führenden Lieferanten von PV-Produktionsanlagen sind in China beheimatet. Das erzeugt erneut Abhängigkeiten am Weltmarkt. Was die Unternehmen jetzt bräuchten, sei „Technologie-Klarheit“ und entsprechende Investitionen in die Infrastruktur, sagt auch Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft: „Leider sorgt Nehammer mit seinen E-Fuel-Träumereien im Gegensatz dazu für maximale Unklarheit.“
Was ist aus Klimaschutzsicht sinnvoll? Bei E-Autos werden fast 80 Prozent der Energie effektiv in Bewegung umgesetzt, während es bei Verbrennern weniger als 15 Prozent sind. Aus diesem Grund produziert ein Windrad im Jahr genug Energie für 1600 E-Autos – aber nur E-Fuel für 250 Verbrenner.
Was bedeutet das für die Automobilbranche? „Für die Industrie scheint mittlerweile sehr klar zu sein, wohin der Zug der Zeit geht“, sagt Stagl. Europa sei der richtige Rahmen, um Produktionskapazitäten bezüglich Erneuerbaren, Batterien, E-Mobilität zu schaffen. Das sei dringend notwendig, so die Expertin. Natürlich sei es wichtig, mit Menschen, die in diesen Sektoren arbeiten, sorgsam umzugehen, ihnen Alternativen und Training anzubieten. VN-JUS
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