Reinhold Bilgeri

Kommentar

Reinhold Bilgeri

Verunsicherer

Vorarlberg / 19.04.2023 • 19:02 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Frau Ammann spielt gern Plättala, Sie kennen das Spiel, flache Steinchen übers Wasser werfen, und zwar so, dass sie so viele Sprünge wie möglich machen. Am Emsbach geht das schlecht, deshalb haben wir uns ins Emser Baggerloch verzogen. Ich habe zu wenig Geduld, den passenden Stein zu finden, sie greift blind ins Kies und fischt sich den perfekten. Ihr Rekord, den ich bestätigen kann, liegt bei 14(!) gezählten Aufschlägen und dann, so als Draufgabe, gleitet das Ding noch weiter wie ein kleiner Curlingstein übers glatte Wasser, unzählbar. Sie ist ein Ass. Und noch eins, es lässt sich so gut reden beim Plättala, sagt sie. Über alles, vor allem über Abstruses. Gibt’s ja genug zurzeit. Man kommt dann gleich vom Hundertsten ins Tausendste.

Sicherheitsrat

Die Selbstzerfleischung der SPÖ, die türkisen Autoträume, Trumps nächster Putschaufruf, Chinas Muskeln vor Taiwan, der einbrechende Wohnungsmarkt bei uns, die Inflation, die trittbrettfahrenden Preistreiber, die nimmermüden Verschwörer, die verzweifelten Klimakleber und dann der schrägste Treppenwitz der Geschichte: zum Chef des Welt-Sicherheitsrats wurde gerade der derzeit größte Verunsicherer der Welt bestellt, der täglich 50.000 Granaten auf das brüderliche Nachbarland Ukraine regnen lässt. Erzählen Sie das dem „kleinen Prinzen“, der würde gleich wieder abhauen. Das Offensichtliche sehen noch immer nicht alle gleich. Da wird jemand vergewaltigt, für jeden sichtbar, der Augen hat, von einem brutalen Kerl vergewaltigt, weil er denkt, sie gehört ihm eh, die Frau Ukraine, sie ist bereits schwer verletzt, wehrt sich verzweifelt und im Umkreis stehen Zuschauer – die Engagierten, die Erstarrten, die Ignoranten, die Betenden, die Gleichgültigen, die Versteher, die Relativierer – die einen rufen: gebt ihr doch eine Waffe, wenigstens ein Messer, dass sie sich wehren kann, oder besser einen Hammer, vielleicht läßt er dann ab von ihr, die andern rufen: jetzt lasst ihn halt machen, er ist zu stark, macht uns Angst, macht ihn nicht noch verrückter, sonst geht er noch auf uns los! Sobald er bekommt, was er will, wird wieder Friede sein, und auch wir haben dann unsere Ruh, wieder andere raten, sie soll doch verhandeln, Vorschläge machen, zur Güte, aber wie denn, er hat sie mit beiden Händen an der Gurgel, außerdem brüllt er dauernd, dass es nix zu verhandeln gibt, außer sie lässt ihn weitermachen.

Was also wäre die Verhandlungsmasse?? Frau Schwarzer? Was genau soll denn der Deal sein?? Frau Wagenknecht? Friede, ja klar, was sonst, den Frieden wollen wir alle auch, schlagen SIE der Vergewaltigten den Preis vor? Pazifismus kann ganz schön zynisch sein.

Frau Ammann wirft ein Steinchen, schlechter Score – nur drei Aufschläge. Zu viel Wut im Arm.

„Friede, ja klar, was sonst, den Frieden wollen wir alle auch, schlagen SIE der Vergewaltigten den Preis vor?“

Reinhold Bilgeri

reinhold.bilgeri@vn.at

Reinhold Bilgeri ist Musiker, Schriftsteller und Filmemacher, er lebt als freischaffender Künstler in Lochau.

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