Bürgerliche Reste
Vielleicht ist Salzburg das Bundesland, das Vorarlberg am nächsten ist. Natürlich nicht geografisch, sondern wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch. An diesem Sonntag wird dort gewählt. Mit im Zentrum steht diese Frage: Was wird aus dem, was einst als bürgerliches Lager bezeichnet und durch die ÖVP abgebildet worden ist?
Das Lager zerfällt längst in viele Teile. Genauer: Verbindendes, wie Selbstverständnis und Kirche, schwindet. Es gibt immer weniger Menschen, für die sich gefühlt (fast) nichts ändert. Viele kommen, verstärkt durch die Teuerung, unter Druck, verlieren oder befürchten, es zu tun. Einige von ihnen neigen dazu, Populisten auf den Leim zu gehen, die ihnen einreden, dass ihr Schicksal auf politisches Versagen, Migration und die europäische Integration zurückzuführen sei. Andere stellen sich den Herausforderungen und leiten daraus die Notwendigkeit ab, beizutragen und zu leisten, was möglich ist; zur Existenzsicherung und gegen die Klimakrise etwa.
Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der ÖVP keine Überraschung. Sie „musste“ über die Jahre Hunderttausende Wähler an Freiheitliche, Neos und Grüne verlieren. Genauso lag und liegt die Verlockung nahe, ebenfalls populistisch zu werden. Was nicht bedeutet, dass die Partei klein beigeben muss, wie sie es auf Bundesebene seit Sebastian Kurz oder in Niederösterreich unter Johanna Mikl-Leitner tut. Das ist eine Bankrotterklärung bzw. die Kopie eines Kurses, für den Herbert Kickl (FPÖ) steht. Die Salzburger ÖVP wird von Wilfried Haslauer geführt. Er ist Landeshauptmann und immer wieder hin und her gerissen, was die Ausrichtung betrifft. Im Unterschied zu Mikl-Leitner steht er allerdings eher für ein liberales, aber auch ein christliches Bürgertum; sowie für Weltoffenheit und ein Mindestmaß an Vernunft.
Nach niederösterreichischem Muster so zu tun, als müsse eine heimische Küche vor fremden Einflüssen bewahrt werden, obwohl sie ja selbst unter anderem durch böhmische und norditalienische Zutaten geworden ist, was sie ausmacht, liegt ihm fern; ebenso wie eine Deutschpflicht in Schulpausen. Er weiß, dass das auf eine Selbstbeschädigung hinauslaufen würde. Dass man so auch dringend benötigte Fachkräfte fernhalten und internationale Konzerne vertreiben würde.
Was nicht heißt, dass Haslauers ÖVP bei der Wahl am Sonntag zulegen muss. Im Gegenteil, sie muss mit Verlusten rechnen und sich auf eine schwierige Regierungsbildung einstellen. Sowie die Gefahr, dass es zu einer Zerreißprobe kommt: Unter Umständen eine Vielparteienkoalition ohne FPÖ oder ein Bündnis mit einer FPÖ, die auf Kickl-Kurs ist?
Ein Scheitern Haslauers würde bürgerliche Reste in der gesamten Volkspartei weiter schwächen. Und den Druck auf die erhöhen, die es etwa in Vorarlberg noch gibt: Sie würden zu den wenigen gehören, die noch beweisen könnten, ob politischer Erfolg in der Mitte noch möglich ist. Viel Zeit ist nicht: Vorarlberg ist das Bundesland, in dem planmäßig die nächste Landtagswahl stattfindet. Zwar erst im Herbst 2024, aber doch.
„Ein Scheitern Haslauers würde den Druck auf die Vorarlberger ÖVP erhöhen zu beweisen, ob politischer Erfolg in der Mitte noch möglich ist.“
Johannes Huber
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Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
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