Dornbirn hat ein „Büro für schweres Erbe“

Vorarlberg / 25.04.2023 • 17:02 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Gesammelt werden Erzählungen und Objekte mit Bezug zum Nationalsozialismus.lcf
Gesammelt werden Erzählungen und Objekte mit Bezug zum Nationalsozialismus.lcf

Stadtmuseum nimmt Erbstücke aus der Nazizeit für geplante Ausstellung entgegen.

Dornbirn Wehrmachthelme, Luftfeldpost-Briefe, Schulhefte, Orden, Sammelabzeichen des Winterhilfswerks, Ahnenpässe und vieles mehr stapeln sich in semitransparenten Plastikboxen im Stadtmuseum Dornbirn. „Büro für schweres Erbe“ heißt die Sammelstelle, wo Menschen aus Dornbirn oder mit einem Bezug zu Dornbirn ihre Erbstücke aus der NS-Zeit abgeben können.

Erbstücke mit Geschichte

Gerade kommt Marlene Bischoff mit Kriegs-Memorabilia ihres Vaters und vielen Fragen dazu. „Mein Vater hat dieses Feldgebetbuch immer aufbewahrt, es hatte wohl eine besondere Bedeutung für ihn. Ob es auch für das Museum interessant ist, weiß ich nicht“, sagt Bischoff. Nikolaus Hagen, Historiker am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck schaut das Erbstück mit der Überbringerin zusammen an. Gemeinsam entdecken sie, dass das Gebetbuch in Brooklyn gedruckt wurde. „Das macht Sinn, mein Vater hat erzählt, dass er unter anderem nach Amerika gebracht wurde“, so Bischoff. Nikolaus Hagen interessiert sich genau für diese Geschichten, die hinter den Dingen stecken: „Auch ein Orden oder eine Briefmarke kann interessant sein, wenn es eine Geschichte dazu gibt.“

Besonders spannend findet der Historiker Objekte, die mehrfach codiert sind – so wie das Hitlerjugend-Fahrtenmesser, das nach dem Krieg entnazifiziert wurde, indem das HJ-Emblem entfernt und die Inschrift wegradiert wurde. „So haben die Leute auch die sogenannten Volksempfänger – günstige Radioapparate für die Reichpropaganda – nach dem Krieg vielfach weiterverwendet. Die Gegenstände hatten für sie Gebrauchswert und waren zu schade zum Wegwerfen“, erzählt Nikolaus Hagen.

Propaganda bis ins Kinderzimmer

Neben vielen Alltagsgegenständen und persönlichen Dokumenten wurde auch ein Brettspiel im „Büro für schweres Erbe“ abgegeben. „Es zeigt, wie die Nazi-Propaganda bis ins Kinderzimmer hinein wirkte“, so Hagen. Oft bringen die Leute nicht nur belastende Gegenstände aus der NS-Zeit vorbei, sondern haben auch offene Fragen zur Geschichte von Familienangehörigen im Nationalsozialismus. „Wir recherchieren gemeinsam mit den Angehörigen und versuchen Antworten auf die Fragen zu finden“, betont die Leiterin des Stadtmuseums, Petra Zudrell.

Ausstellung geplant

Anlass für den Sammelaufruf des Stadtmuseums ist die Vorbereitung einer Sonderausstellung zum NS-Erbe der Stadt Dornbirn unter dem Motto „Nationalsozialismus und Familienerinnerung“. Mit jedem Überbringer wird ein Schenkungsvertrag ausgefüllt und die Geschichte rund um das abgegebene NS-Relikt dokumentiert. „Die Sonderausstellung ist eingebettet in die Neukonzeption des Stadtmuseums, die wir unter das Generalthema Erbe & Erben gestellt haben“, erzählt Petra Zudrell. Die Erbstücke aus der NS-Zeit können noch bis Ende Mai im Büro für schweres Erbe abgegeben werden. Bürozeiten sind freitags von 10 bis 12 Uhr – um Voranmeldung unter Tel 05572 306 49 11 oder stadtmuseum@dornbirn.at wird gebeten.

Das „Büro für schweres Erbe“ ist ein Kooperationsprojekt des Stadtmuseums Dornbirn mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. lcf

Historiker Nikolaus Hagen und die Leiterin des Stadtmuseums Petra Zudrell.
Historiker Nikolaus Hagen und die Leiterin des Stadtmuseums Petra Zudrell.

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