Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Aus den Augen, aus dem Sinn

Vorarlberg / 02.05.2023 • 11:00 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Genau fünfzehn Jahre ist es her, dass ich mein kleines Wochenend-Hausi im Waldviertel kaufte, von einem sehr netten älteren Paar. Es war auch ein sehr sauberes Paar, sie übergaben das Haus zwar renovierungsbedürftig, aber ordentlich, mit gepflegten Rosen davor und einem aufgeräumten Schopf dahinter, in dem sie uns auch noch ihren alten Rasenmäher zurückließen.

„So eine Tenne ist eine sehr praktische Angelegenheit. Es verschwinden dort Dinge, ganz unkompliziert.

Seitlich hat der Schopf einen kleinen Geräteschuppen, oben ein Tenn, das man über eine stabile Holzleiter erklimmt. Wir fanden dort alte Bretter, Bohnenstangen, antike, aber intakte Gartengerätschaften und ein paar Körbe, die, wie wir erfuhren, vom Altbauern nebenan aus Weiden geflochten worden waren. Ich wollte mir das immer von ihm beibringen lassen, aber die Kinder waren klein, die Arbeit im und ums Haus groß, und der alte Mann starb, bevor ich das Weidenflechten von ihm lernen konnte.

Jedenfalls, was ich auch feststellte, nach mehr als zehn Jahren in den begrenzten Räumen verschiedener Stadtwohnungen: So eine Tenne ist eine sehr praktische Angelegenheit. Es verschwinden dort Dinge, ganz unkompliziert. Dinge, die man im Augenblick gerade nicht braucht. Dinge, die man nie wieder brauchen und demnächst verkaufen wird. Beschädigte Dinge, die man bei nächster Gelegenheit reparieren und schön herrichten wird. Kaputte Dinge, die man nächsten Freitag, wenn der lokale Mistplatz wieder geöffnet hat, in den Kofferraum laden und zur Entsorgung bringen wird.

Mit Dingen ist es so: Kaum erblickt man sie nicht mehr, vergisst man sie umgehend. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Als ich unlängst wieder einmal auf das Tenn hinaufkletterte, auf der Suche nach Brettern für ein Hochbeet, fand ich vor allem Gerümpel. Riesige Sonnenschirme, völlig zerzaust. Kindersitze aus der Zeit, als die erwachsenen Kinder vier Jahre alt waren. Eine alte Matratze, in der es sich verschiedene Tiere gemütlich gemacht hatten. Zerschlissene Teppiche. Rostige Biergartensessel mit morschen Sitzbrettern, dort vor zehn Jahren zwischengelagert, bis ich sie demnächst renovieren würde, genauso wie die Spaghetti-Sessel mit kaputter Bespannung.

Ich stand da oben und auf einmal wurde mir klar: Das wird nie passieren. Also krempelte ich die Ärmel hoch und warf alles vom Tenn hinunter. Meine Freundinnen kamen und halfen mir, das kaputte Zeug für den Sperrmüll auf die Straße zu tragen. Und die rostigen und kaputten Sessel verschenkte ich alle auf willhaben: an glückliche Leute, die sie umgehend picobello herrichten werden.

Jetzt außer, sie haben ein Tenn.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.

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