Krisenalarm in den Spitälern: Betriebsräte warnen vor Systemkollaps

In den Landeskrankenhäusern schlagen Betriebsräte Alarm: Sie warnen vor einem bevorstehenden Systemkollaps durch Personalengpässe und fordern dringend Veränderungen im Gesundheitssystem.
Von Marlies Mohr & Mirijam Haller
Dornbirn Sie haben genug. Genug vom Schönreden, vom Hinhalten, vom Beschwichtigen. Immer wieder machten Betriebsratsvertreter der Landeskrankenhäuser auf die massiven Personalprobleme in den Spitälern aufmerksam, aber: „Es hat sich nichts geändert, im Gegenteil, es wurde schlimmer.“ Zentralbetriebsrat Thomas Steurer und die Betriebsrätinnen des LKH Bregenz, Dr. Claudia Riedlinger und Patricia Zangerl, gehen deshalb mit einem drastischen Hilferuf an die Öffentlichkeit: „Wenn nicht bald etwas getan wird, wird das System an die Wand gefahren. Das ist keine lapidare Aussage“, unterstreichen sie im VN-Gespräch die Brisanz der Situation. Die Patientenversorgung funktioniere nur deshalb noch, weil das verbliebene Personal funktioniere. Doch stetige Überlastung trübt die Freude an der Arbeit zunehmend und sorgt für Unsicherheit. „Wir müssen es schaffen, dass auch die nächsten Generationen wieder gerne im Krankenhaus arbeiten“, bringt Riedlinger die drängendste Forderung auf den Punkt.

Aktuell haben vor allem Teilzeitbeschäftigte die Nase voll. Es gebe laufend Kündigungen, berichtet Thomas Steurer, denn trotz Teilzeit würden viele auf das volle Beschäftigungsausmaß kommen. „Haben Frauen, und zu über 70 Prozent sind es Frauen, die Teilzeit arbeiten, zusätzlich familiäre oder pflegerische Aufgaben zu bewältigen, ist irgendwann die Grenze für sie erreicht.“ Zudem seien es Mitarbeitende in Teilzeit, die bei personellen Engpässen einspringen müssten. Es brauche dringend Maßnahmen, um jene, die noch da sind, zu halten. Die Löcher mit Arbeitskräften aus anderen Ländern oder, wie es in Bregenz der Fall ist, mit Allgemeinmedizinern und Pensionisten zu stopfen, hält Steurer für Notlösungen. „Das mag akut sinnhaft sein, wir wissen aber aus Erfahrung, dass die meisten bald wieder gehen.“ Der Zentralbetriebsrat sieht das personelle Fiasko nicht nur auf Ärzte und Pflege beschränkt: „Radiotechnologen, Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten, Diätologinnen, Hebammen, es fehlt überall.“

Um die Dringlichkeit ihrer Anliegen zu untermauern, wollen die Betriebsräte nun „gebündelt auftreten“, wie sie betonen und konkretisieren: „Wir möchten den Mitarbeitern zeigen, dass wir hinter ihnen stehen, egal was kommt.“ Aktuell sind in den Spitälern etwa 105 Stellen im ärztlichen und pflegerischen Bereich unbesetzt, die Folgen gravierend. Weil etwa Fachärzte fehlen, muss sich die Pflege um die Turnusärzte kümmern, was wiederum dazu führt, dass für Patienten weniger Zeit bleibt. Um die Zahl der Eingriffe zu bewältigen, wird nachts teilweise durchoperiert. Von der Dienstplansicherheit, dem höchsten Gut, wie Claudia Riedlinger anmerkt, ganz zu schweigen. Die lässt sich kaum noch gewährleisten.

„Ich bin seit zehn Jahren als Betriebsrätin freigestellt. In dieser Zeit habe ich noch keine Überlastungsanzeige geschrieben. In den vergangenen fünf Monaten waren es gleich vier“, sieht Patricia Zangerl das Personal an einem Punkt, wo es auch um dessen Absicherung geht. Ein Blick auf die Stundentafel spricht Bände. Ende 2019 läpperten sich mit Überstunden und nicht konsumierten Urlauben gut 300.000 Stunden zusammen. „Um diese auf null zu bringen, hätten wir 270 Dienstposten benötigt“, veranschaulicht sie die Diskrepanz und hat für das Argument, der Dienstpostenplan sei voll, nur ein müdes Lächeln übrig.

Die Belegschaftsvertreter sehen aber auch die Bevölkerung in der Pflicht. „Noch spüren die Patienten nichts, wenn sie es spüren, ist es wirklich zu spät“, orakelt Zangerl. Steurer macht klar: „Die Leute haben ein Recht, informiert zu werden. Gleichzeitig muss man ihnen sagen, dass man nicht wegen jedem eingerissenen Zehennagel oder Kaugummi im Haar oder einem aufgeschlagenen Knie ins Krankenhaus geht.“ Alle wissen aber, dass es kaum möglich sein wird, den Ansturm auf die Ambulanzen einzudämmen. Deshalb führe kein Weg an Spitälern vorgelagerten Zentren vorbei.

Derzeit sind lange Wartezeiten in den Ambulanzen und auf Termine für planbare Eingriffe bittere Realität, ebenso wie geschlossene OP-Säle und Bettenstationen. Draußen fehlt es an Nachsorge- und Übergangslösungen, weshalb Patienten oft länger als nötig im Krankenhaus bleiben. Claudia Riedlinger erzählt von einem Patienten, der von 365 Tagen 165 im Spital verbrachte. „Wir versuchen trotzdem, für die Patienten das Bestmögliche herauszuholen“, appellieren die Betriebsräte jedoch eindringlich an das gegenseitige Verständnis.
Kritik an KHBG
Völlig im Stich gelassen fühlen sie sich und die rund 5600 Beschäftigten vom Dienstgeber, der Krankenhausbetriebsgesellschaft (KHBG), deren Geschäftsführer Gerald Fleisch und der Politik. Die Vertreter der Krankenhausbelegschaft würden im Vorfeld der Gehaltsverhandlungen nicht einmal mehr empfangen, spricht Thomas Steurer explizit Landeshauptmann Markus Wallner an. Mehr als unterkühlt ist offenbar die Gesprächsbasis mit der KHBG und Gerald Fleisch. Mails würden kaum oder gar nicht beantwortet, Dienstvereinbarungen verzögert, Gesprächstermine nicht eingehalten. Dafür werde ständig mit dienstrechtlichen Konsequenzen gedroht.
Scharfe Kritik gibt es zudem an den unterschiedlichen Gehaltseinstufungen. In den kleineren Spitälern seien diese niedriger als im LKH Feldkirch. Die Betriebsräte sprechen außerdem von einer bewussten Intransparenz. „Wir haben Monate gebraucht, um die OP-Zahlen der vergleichbaren Fächer zu bekommen“, nennt Steurer ein Beispiel. Jetzt wollen sie das alles nicht mehr schlucken: „Es reicht!“, lautet die unmissverständliche Botschaft.
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