Josef, der ewige Außenseiter

Vorarlberg / 18.06.2023 • 20:03 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Josef erlief sich viele Wandermedaillen und -nadeln.  VN/Steurer, Huchler (2)
Josef erlief sich viele Wandermedaillen und -nadeln.  VN/Steurer, Huchler (2)

Josef Huchler (77) hatte es von Kindesbeinen an schwer. Er entdeckte für sich die Berge und wurde lebensfroh.

Hohenems Gewalt prägte viele Jahre sein Leben. Josef Huchler wurde 1946 geboren. Seine Kindheitserinnerungen sind allesamt negativ. „Die Eltern haben mich geschlagen, die Brüder hänselten mich.“ Die Nachbarskinder waren ihm auch nicht gut gesinnt. „Alle sagten Neger zu mir.“ Auch die Worte eines Nachbarn brannten sich dem Bübchen ins Gedächtnis und verletzten seine Seele: „Die Marokkaner waren da.“ Aus den Reaktionen seines Umfelds schloss Josef, der im Gegensatz zu seinen zwei blonden Brüdern schwarz gelockt war, dass er der Sohn eines marokkanischen Besatzungssoldaten ist, ein „Kind der Schande“.

Anfeindungen und Hänseleien

Der Bub wehrte sich gegen seine Widersacher. „Wenn ich einen erwischte, habe ich ihn geschlagen. Umgekehrt haben aber auch sie mich verprügelt.“ Jeder trampelte auf Josefs zarter Kinderseele herum. Keiner war da, der dem Kind zur Seite gestanden und gut zu ihm gewesen wäre. „Ich hatte nie einen Freund.“ Die Anfeindungen und Hänseleien setzten sich auch fort, als Josef eine Lehre zum Tischler machte. „Aus dir wird nie etwas“, musste er sich mehrfach anhören. „Denen habe ich es später gezeigt. Mit 36 Jahren habe ich die Meisterprüfung abgelegt.“ Einmal wurde er von seinem Lehrherrn sogar geschlagen. Mit 27 Jahren steckte Josef zum letzten Mal Schläge ein. „Meine Verwandten mischten sich in meine Ehe ein.“ Ab diesem Zeitpunkt aber erlaubte er keinem mehr, gegen ihn die Hand zu erheben. „Wenn mir einer blöd kam, habe ich ihn mit einem Schulterwurf außer Gefecht gesetzt.“ Nicht zufällig hatte Josef mit 22 Jahren mit Judo begonnen. „Ich wollte mich gegen Angreifer gut wehren können.“ Der Tischler brachte es weit in dieser Kampfsportart. „Bei den Landesmeisterschaften errang ich einmal den zweiten und einmal den dritten Rang.“

Mit Gott gehadert

Seine problematischen Kindheitserfahrungen gipfelten darin, dass er im Alter von 33 Jahren nicht mehr leben wollte. „Ich wollte mich vor den Zug werfen.“ Ein Bekannter konnte noch rechtzeitig veranlassen, dass Josef ins Landesnervenkrankenhaus Valduna eingeliefert wurde. Damals haderte der gläubige Mann noch mit Gott wegen seines schweren Schicksals. Heute ist er mit dem Allmächtigen versöhnt. Denn auf seinen zahlreichen Bergtouren entkam der Hohenemser einige Male nur knapp dem Tod. Einmal wäre ihm eine Gletscherspalte beinahe zum Verhängnis geworden, ein andermal verschüttete ihn eine Lawine zwei Meter tief. Wie durch ein Wunder konnte er sich aus eigener Kraft aus den Schneemassen befreien. So nahe am Tod wurde ihm bewusst, dass das Leben kostbar ist. Noch heute ist Josef dem Herrgott dankbar dafür, dass er damals eine zweite und eine dritte Chance bekam. Denn der 77-Jährige lebt inzwischen sehr gerne. „Ich möchte 90 Jahre alt werden.“ Die Lebensfreude kam, als er die Berge für sich entdeckte. Eine kleine Wanderung mit einem Kollegen im Nenzinger Himmel gefiel dem leidgeprüften Mann derart, dass er in der Folge zum begeisterten Bergsteiger wurde. Zunächst bestieg er die heimischen Berge und lernte auf Hunderten Wandertouren Vorarlberg und seine Umgebung kennen. Später wagte er sich an größere Herausforderungen. Er bezwang – meistens im Alleingang – 3000er und 4000er wie etwa den Großglockner, den Ortler, den Mönch in den Berner Alpen oder die Zumsteinspitze und das Schwarzhorn in den Walliser Alpen. „Auf der Monte Rosa Hütte traf ich einen Bergsteiger, der mich entgeistert anstarrte. Er konnte nicht fassen, dass ich allein unterwegs war. Ich sagte ihm, dass ich mit Gott gekommen sei.“

Jetzt lächelt Josef zum ersten Mal. Die Erinnerungen an seine Bergtouren bereiten ihm sichtlich Wohlbehagen. Aber die Berge waren ja auch seine Rettung. „Sie gaben mir alles.“ Inzwischen ist er mit 77 Jahren aber in einem Alter, in dem man kleinere Brötchen bäckt. Heute bereitet dem pensionierten Tischler das Schachspielen mit einem MOHI-Helfer Freude – und die schöne Aussicht, die er von seinem selbstgebauten Haus aus hat.

1982: Josef auf dem Ortler, dem höchsten Berg von Südtirol.
1982: Josef auf dem Ortler, dem höchsten Berg von Südtirol.
Josef bei der Erstkommunion. Traurig blickt das Bübchen in die Kamera.
Josef bei der Erstkommunion. Traurig blickt das Bübchen in die Kamera.