„Über die Grenze“: Eine Nacht in der Badewanne im Hohenemser Krankenhaus

Vorarlberg / 02.07.2023 • 10:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Das Kaiserin-Elisabeth-Krankenhaus Hohenems, wo Oskar Trebitsch Zuflucht fand, im Jahr 1939. <span class="copyright">JMH</span>
Das Kaiserin-Elisabeth-Krankenhaus Hohenems, wo Oskar Trebitsch Zuflucht fand, im Jahr 1939. JMH

Über die Flucht des Juristen Oskar Trebitsch und seine Helfer.

Hohenems Im Rahmen ihrer gemeinsamen Serie werfen die VN-Heimat und das Jüdische Museum Hohenems einen Blick auf das Leben des 1886 in Prag geborenen Oskar Trebitsch, der im Juni vor 85 Jahren durch den Alten Rhein fliehen konnte. Im unlängst auch als Buch erschienenen Projekt www.ueber-die-grenze.at ist dem später in Wien arbeitenden Juristen eine von 52 Geschichten gewidmet. Die Hörspiele können zudem via QR-Code an den symbolischen Grenzsteinen entlang des Radwegs Nr. 1 abgerufen werden.

Oskar Trebitsch, vor 1938. <span class="copyright">Winkler, Österreichische Nationalbibliothek</span>
Oskar Trebitsch, vor 1938. Winkler, Österreichische Nationalbibliothek

Sozialdemokratischer Anwalt

Oskar Trebitsch inskribierte als junger Erwachsener an der Universität in Wien und promovierte kurz nach seinem 25. Geburtstag im Mai 1911. Der aktive Sozialdemokrat praktizierte als Rechtsanwalt in seiner Kanzlei in der Praterstraße 22 und publizierte vor 1938 einerseits über die Krise des demokratischen Sozialismus sowie zu Recht und Klassengesellschaft, aber andererseits auch über die sogenannte „Judenfrage“.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich wurde er von der Gestapo verhaftet, die ihn schließlich am 8. Juni 1938 wieder freiließ. Offenbar war man davon ausgegangen, dass der Terror seine Wirkung nicht verfehlen und Trebitsch emigrieren würde.

Und tatsächlich gelang Trebitsch auf abenteuerliche Weise die Flucht in die Schweiz, die ihn zunächst nach Hohenems führen sollte, wie er 1956 in einem Antrag an den österreichischen Hilfsfonds berichtete: „Durch Universitätsprofessor Dr. Hatschek in Wien VIII erhielt ich Information über eine illegale Grenzübertrittsstelle in Lustenau, Vorarlberg und fuhr dorthin. Als ich mich dort am 11. Juni 1938 bei der mir genannten Vertrauensperson abends meldete, erfuhr ich, dass die Sache aufgeflogen sei. Über Anraten ging ich in das Krankenhaus in Hohenems, wo mich der Primararzt in einer Badewanne übernachten ließ.“

Arthur Neudörfer, Primar des Hohenemser Krankenhauses. <span class="copyright">JMH</span>
Arthur Neudörfer, Primar des Hohenemser Krankenhauses. JMH

Der besagte Arzt war der hoch angesehene Primar und Leiter des Hohenemser Krankenhauses, Arthur Neudörfer, der jedoch von den Nationalsozialisten als „jüdisch versippt“ angesehen und 1938 seines Postens enthoben wurde. An weniger exponierter Stelle blieb er allerdings auch während des Krieges im Hohenemser Kaiserin-Elisabeth-Krankenhaus tätig, das er selbst aufgebaut hatte.

Trebitsch konnte offenbar auf seine Hilfe zählen: „Als ich früh über seine Wohnung weggehen wollte, kam ‚zufällig‘ der Kaplan Jakob Fussenegger von Hohenems herein. Als ihm mein Name genannt wurde, […] brachte mich dieser junge Priester erst bei einem Bauer Gottfried Fussenegger in der Reutte [Anm.: Emsreute] bei Hohenems unter, wo ich 14 Tage in der Scheune versteckt wurde, während sich der Kaplan vergeblich bemühte einen Weg über die Grenze in die Schweiz für mich zu finden.“

Pfarrer Jakob Fussenegger half Trebitsch als junger Kaplan. <span class="copyright">Diözese Feldkirch</span>
Pfarrer Jakob Fussenegger half Trebitsch als junger Kaplan. Diözese Feldkirch

Schließlich musste Oskar Trebitsch sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und so entschloss sich der 52-jährige von der Hohenemser Schwimmschule möglichst unbemerkt über den eher seichten Alten Rhein zu gelangen. Wie er in seinem Bericht später anmerkte, war eine Badehose alles, was er aus seinem Vaterland mitnehmen konnte. Über die Vermittlung seines Freundes Hans Kelsen, der heute als „Architekt der Österreichischen Bundesverfassung“ bekannt ist, wurde ihm von der Berner Regierung politisches Asyl gewährt.

Das ehemalige Wohnhaus des Bauern Gottfried Fussenegger in Emsreute. Hier versteckte sich Oskar Trebitsch 14 Tage lang in der Scheune. <span class="copyright">Walser</span>
Das ehemalige Wohnhaus des Bauern Gottfried Fussenegger in Emsreute. Hier versteckte sich Oskar Trebitsch 14 Tage lang in der Scheune. Walser

Über Haifa nach Sydney

Lange blieb Trebitsch jedoch nicht in der Schweiz, sondern emigrierte via Haifa in Palästina letztendlich nach Australien, wo er am 2. Oktober 1940 in Sydney eintraf. Dort engagierte er sich schon bald als Vizepräsident der „Free Austria League“ und beschwerte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in resignierenden Leserbriefen an den Sydney Morning Herald auch über die Flüchtlingspolitik Australiens. Geschenkt wurde dem Juristen in seiner neuen „Heimat“ zwar nichts, doch nach Jahren der Erwerbslosigkeit war es ihm in den 1950er Jahren immerhin zeitweise möglich als Buchhalter zu arbeiten. Im November 1958 verstarb der unverheiratet und kinderlos gebliebene Oskar Trebitsch in der australischen Hafenstadt. RAE