„Ich persönlich glaube nicht an die S18“

Vorarlberg / 10.07.2023 • 19:17 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
Claudia Gamon letzten Sommer auf dem Weg auf den Panüelerkopf. privat
Claudia Gamon letzten Sommer auf dem Weg auf den Panüelerkopf. privat

Neos-Vorarlberg-Landessprecherin Claudia Gamon ortet Mutlosigkeit in der Politik.

Zeugnisnoten sind Gesprächsstoff in vielen Familien. Welche Note bekommt der designierte SPÖ-Vorsitzende Mario Leiter von Ihnen?

Ich kenne ihn noch nicht so gut. Wir warten alle darauf zu hören, was seine Vorstellungen sind.

 

Was sind bisher Anknüpfungspunkte, die Sie zur Politik der SPÖ in Vorarlberg sehen?

Es ist mir wichtig, auch immer etwas Positives zu sagen. Ich denke, dass die SPÖ sehr solide Oppositionsarbeit macht. Aber was mir fehlt, ist der Wille, Visionen zu zeigen. Da wirkt die SPÖ für mich sehr altbacken.

 

Die Vision der Neos ist mehr Mut, weniger Stillstand. Welche Projekte sollte die Landesregierung vorantreiben?

Nehmen wir den Verkehr. Man steht im Stau, man merkt, dass Vorarlberg schienenmäßig nicht so gut angeschlossen ist. Das belastet im Alltag und nimmt extrem viel Wirtschaftskraft. Da wäre noch so viel mehr möglich. Aber was es dafür braucht, ist einfach eine Politik, die klar anerkennt: große Infrastrukturprojekte, die macht man nicht von heute auf morgen, sondern das sind Investitionen für die nächsten 20, 30 Jahre.

 

Was wäre ein gutes Leuchtturmprojekt?

Das könnte eine Ringstraßenbahn sein, das könnten Ausbauten der Schieneninfrastruktur in die Täler sein, zum Beispiel in den Bregenzerwald. Aber man hat immer das Gefühl, dass sich die Politik nur von Wahl zu Wahl hantelt und es nur darum geht: Was kann ich jetzt akut versprechen, was vielleicht in den nächsten zwei Monaten irgendjemanden besänftigt?

 

Aktuell dreht sich vieles um die Teuerung. Ist Vorarlberg zu teuer geworden?

Vorarlberg war schon lange ein teures Pflaster in Österreich. Aber da muss die Politik darauf reagieren und ein paar Dinge anders machen. Was die Menschen natürlich sehr stark belastet, ist das Thema Wohnen und Wohnkosten. Dass man sich kein Eigentum mehr erarbeiten kann, ist etwas, das wir dringend angehen müssen.

 

Sie haben vorgeschlagen, das Land soll Erstkäufern die Grunderwerbssteuer und die Grundbucheintragungsgebühr rückerstatten. Ist das ein großer Hebel?

Es ist ein Hebel. Ich möchte das nicht überhöhen und sagen, das ist die Lösung, die uns jetzt Eigentum auf einmal leistbar machen wird. Aber es gibt diese magische Lösung auch nicht. Es gibt eine Vielzahl an Maßnahmen, die man setzen kann. Da geht es auch um die Raumordnung, um die Bauordnung, um Normen, und man kann schauen, ob nicht Mittel aus der Wohnbauförderung herausgenommen werden, die dann eventuell auch als Eigenmittel angerechnet werden können.

 

Der private Wohnbau in Vorarlberg ist eingebrochen. Muss die öffentliche Hand das mit sozialem Wohnbau in die Hand nehmen?

Im Moment hat das auch mit den hohen Zinsen zu tun, und das ist bei aller Kritik nichts, was die Regierung ändern kann. Aber natürlich brauchen wir den Wohnraum trotzdem. Hier ist es schon auch die Aufgabe der öffentlichen Hand zu schauen, dass Angebot und Nachfrage zusammenpassen.

 

Thema Kinderbetreuung: Hier orten die Neos noch viel Potenzial. Worin konkret?

Was den Ausbau des Angebots betrifft, manchmal auch die Qualität, das hat damit zu tun, dass wir mit einem Mangel an Elementarpädagoginnen zu kämpfen haben. In Feldkirch hat die Hälfte aller unter Dreijährigen, für die Bedarf angemeldet wurde, keinen Betreuungsplatz im Herbst. Das ist unfassbar und absolut skandalös.

 

Warum hat man sich in Vorarlberg um das Thema Kinderbetreuung nicht in dem Ausmaß gekümmert, wie Sie das propagieren?

Das hat mit einem konservativen Familienbild zu tun, wo man sich das Ideal vorstellt, dass Frauen sehr lange zu Hause bleiben, nicht wieder ins Arbeitsleben zurückkehren und die Konsequenzen, die das hat, vollkommen ausblendet. Denn das bedeutet auch, dass viele Frauen in Abhängigkeit von ihren Partnern leben, weil sie nicht die Freiheit haben zu entscheiden, wieder arbeiten zu gehen, weil das Angebot an Kinderbetreuung nicht da ist.

 

Vorarlberg soll ja bis 2035 chancenreichster Lebensraum für Kinder sein.

Ich teile dieses Ziel, aber wir sind in der Realität meilenweit davon entfernt. Ich habe das Gefühl, dass das Ziel der Marke Vorarlberg wirklich nur ein Marketinginstrument ist.

 

Zurück zum Verkehr: Glauben Sie persönlich an die S18?

Es ist eine spannende Frage, dass das zur Glaubensfrage geworden ist. Ich glaube es nicht, nein. Uns fehlt einfach die Datenlage, um die Frage zu beantworten, ob es noch das richtige Projekt in dieser Zeit ist. Man merkt das ja auch in Feldkirch bei der Tunnelspinne. Man fragt sich auch: Ist das wirklich die richtige Investition? Hätte man nicht die kleineren Alternativen eher in Erwägung ziehen sollen?

 

Vorarlberg hat eine Achterbahnfahrt beim Strompreis erlebt. Hätten Sie sich ein anderes Vorgehen der Verantwortlichen gewünscht?

Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in unseren landeseigenen Energieversorger haben sehr stark darunter gelitten. Diese so ungute Kommunikation ist kein Zustand. Das hätte man anders machen müssen. Ja, es hat eine Notsituation im letzten Jahr gegeben. Aber wir sind wieder auf ein relativ normales Niveau heruntergekommen im europäischen Schnitt. Da haben vor allem die Unternehmen, die im Besitz der Allgemeinheit sind, eine besondere Verantwortung, das so schnell wie möglich weiterzugeben.

 

Goutieren Sie die Strategie der illwerke vkw, neue Kraftwerke zu bauen?

Gerade das Lünersee-Projekt ist ein unglaublich wichtiges. Da geht es nicht nur um Vorarlberg, sondern da geht es eigentlich um den ganzen europäischen Strommarkt. Wir brauchen für die Energiewende einfach viel mehr Speicherkapazitäten.

 

Extinction Rebellion hat vergangene Woche vor dem Landtag ordentlich Wirbel gemacht. Stehen Sie auf der Seite der Klimaschützer?

Ich habe schon sehr viel Verständnis dafür, dass junge Menschen eine gewisse Verzweiflung spüren, weil sie wissen, dass zu wenig getan wird. Es ist allerdings nicht meine Form des Protestes, aber ich bin auch nicht Aktivistin. Ich bin Politikerin, und unsere Aufgabe ist es, mit diesen Ideen etwas zu tun.

 

Wie beurteilen Sie die neue Transparenz-Plattform, auf der Auftragsvergaben oder Förderungen tagesaktuell nachzulesen sind?

Das ist einmal ein erster Schritt. In der Transparenz geht es ja auch um das Prinzip, dass niemand dann jemand anderem unterstellen muss, etwas wäre falsch gelaufen.

 

Die Landtagswahl 2024 steht an. Möchten Sie mitregieren?

Wir werden sehr gerne regieren, weil wir sehr viel vorhaben in Vorarlberg.

 

Mit wem würden Sie regieren, mit wem nicht?

Koalitionsspekulationen sind etwas für gelangweilte Politikbeobachter.

 

Werden Sie als Spitzenkandidatin antreten?

Das ist mein Ziel, ja. Ich möchte mich darum bewerben.

Die Glaubwürdigkeit und auch das Vertrauen in unseren landeseigenen Energieversorger haben durch die Strompreis-Achterbahnfahrt sehr stark gelitten, und das war vor einem Jahr nicht der Fall.

„Ich persönlich glaube nicht an die S18“

Zur Person

Claudia Gamon

Landessprecherin Neos Vorarlberg, Mitglied im Bundesvorstand, Mitglied des europäischen Parlaments

Geboren 1988

Ausbildung Studium Internationale Betriebswirtschaft in Wien

Laufbahn Projektleitung ÖAMTC; bis 2019 Abgeordnete zum Nationalrat

Familie verheiratet