Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Bitte um Erlaubnis

Vorarlberg / 11.07.2023 • 19:51 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Ein todkranker Mann erhebt sich mit Mühe von seinem Bett, um vor seinem Freund zu salutieren: „Ich bitte um Erlaubnis, von Bord gehen zu dürfen.“

Der Freund antwortet: „Erlaubnis erteilt.“

Geschehen in einer Palliativstation an einem trüben Nachmittag.

Mit Würde zu sterben, ist wohl das Edelste, was sich denken lässt. Was ist geschehen, bevor dieser Satz gesagt werden konnte? Schmerzen, Morphium, klare Gedanken, wirre Gedanken – und doch die Sicht auf den Tod, ob ans ewige Leben glaubend oder nicht. Es ist Zeit abzutreten. Genug gelebt. Genug erlebt. Genug gefreut. Genug gelitten. Genug gesehen, gerochen, gegriffen, geschmeckt, gehört. Was erwartet mich? Wenn es nichts ist, was erwartet mich dann? Was ist das Nichts? Vielleicht gefällt mir das Nichts. Könnte doch sein. Oder dass der kranke Mann sich an den Heiland seiner Kindheit erinnert und noch ein Gebet zum Himmel schicken will. Aber was für eines? „Heile, heile Segen, morgen gibt es Regen …“ Aber das ist ja kein Gebet. „Schutzengele komm zu mir, oh, wie sehn ich mich nach dir.“ Sehne ich mich nach dem Schutzengel? Ist das eine Frau, die ich gekannt habe, eine, die ich verehrt und die mich nie erhört hat? Er könnte sich ein Gebet erfinden. „Lieber Gott, wenn es dich gibt, mach, dass meine Frau noch Glück haben kann in ihrem Leben. Sag ihr, dass es noch Männer gibt, die interessant für sie wären. Ich kenne einen. Soll ich dir seinen Namen sagen? Du wirst wissen, wen ich meine …“ Dann der Schwall von Morphium. Eine Riesin steht vor deinem Bett und schaut auf dich herab. Sie sagt nichts. Summt sie? Summt sie eine Melodie, die ich kenne? Ist es etwas von Bob Dylan? Er weiß, er steht vor Heavens Door. Da geht man hindurch und findet sich auf einer duftenden Wiese, duftend, weil dort duftende Blumen wachsen. Er könnte sich in die Wiese hineinfallen lassen. Er muss nichts machen, sich nicht bewegen, und trotzdem wird etwas mit ihm geschehen. Es wird gut sein, was ihm geschieht. Was ist mit Sünden? Ach, die kleinen Sünden, die sind zu vernachlässigen. Einmal nicht ehrenhaft gehandelt. Einmal eine Frau verlassen und nie mehr wiedergekommen. Er wollte immer ein Ehrenmann sein, das muss zählen. Der Wille ist heilig, was daraus wird, macht der Teufel. Mit dem hat der Sterbende keine Verabredung. Mit dem nicht.

„Was erwartet mich? Wenn es nichts ist, was erwartet mich dann? Was ist das Nichts? Vielleicht gefällt mir das Nichts.“

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.