“Es ist Zeit für einen Wechsel”

Mario Leiter vor einer Polizeistation auf der griechischen Insel Rhodos.
SPÖ solle Teil der Landesregierung werden, fordert der designierte Parteichef.
Kurz nach Schulschluss steht das Zeugnis im Mittelpunkt. Bewerten Sie doch bitte einen Ihrer Mitbewerber. Welche Note würde FPÖ-Chef Christof Bitschi von Ihnen bekommen?
Ich bin nicht hier, um Schulnoten zu vergeben. Schulnoten sind nicht wichtig, sondern das Leben der Menschen.
Sie sind erst seit einigen Wochen neuer SPÖ-Chef. Was haben Sie sich als Erstes vorgenommen?
In Zeiten der Teuerung ist es wichtig, gleich die Arbeit aufzunehmen. Wir haben sofort kostenlose Nachhilfe gefordert. Die Vorarlberger Familien geben über fünf Millionen Euro für die Nachhilfe aus. Das muss man eindämmen. Das war der erste Akzent, den wir im Landtag schon eingebracht haben. Ich werde natürlich versuchen, mit allen Parteien zu reden und auf Augenhöhe Politik in Vorarlberg zu gestalten. Mir geht es darum, dass das Leben in Vorarlberg leistbar wird. Das ist das große Thema. Da müssen alle anpacken.
14 Monate dauert es noch bis zur Landtagswahl. Welches Ziel haben Sie sich gesetzt?
Ich möchte, und das ist ein klar formuliertes Ziel, in die Landesregierung einziehen, um tatsächlich auch unsere Themen umsetzen zu können. Es ist Zeit für einen Wechsel, damit endlich die Problematik mit dem Wohnen, mit der Teuerung gelöst wird. Das Leben in unserem Land ist einfach, und das möchte ich als Vorarlberger sagen, sauteuer geworden. Das darf nicht mehr sein. Da kann die Politik mehr machen. Unser Land kann es besser, wir können es besser.
Blicken wir auf die aktuelle Landesregierung: Was machen ÖVP und Grüne aus Ihrer Sicht momentan falsch?
Wenn wir schon mit dem Wohnen beginnen: Im schwarz-grünen Arbeitsübereinkommen steht, dass 4000 gemeinnützige Wohnungen bis 2024 gebaut werden sollen. Derzeit sind es meines Wissens 1860. 500 oder 600 sind noch in der Warteschleife, bis Ende 2024. Das heißt, wir werden auf 2400, 2500 Wohnungen kommen. Das sind so viele weniger, als sie sich vorgenommen haben. Hier müssen wir einschreiten. Hier müssen wir wirklich sagen: bauen, bauen, bauen. Die Menschen brauchen leistbaren Wohnraum. Wir müssen gegensteuern, mehr finanzieren, die gemeinnützigen Wohnbauträger wirklich anhalten, dass sie mehr Wohnungen schaffen für die Bevölkerung.
In der letzten Woche haben Aktivisten von Extinction Rebellion vor dem Landtag die Bannmeile nicht respektiert. Polizeikolleginnen und -kollegen von Ihnen haben die Demonstration aufgelöst. Wie bewerten Sie diese Form des Protests?
Man muss mit dem Protest leben. Es ist gut, wenn es hin und wieder zivilen Ungehorsam gibt. Schaffen sich die Demonstranten nicht Gehör, sodass die Medien berichten, werden sie mit ihren Themen nie durchdringen. Aber natürlich, die Bannmeile gilt in gewissen Bereichen. Das Gesetz ist immer auf Punkt und Beistrich einzuhalten. Es gibt ein Versammlungsgesetz. Der Einsatz im Landhaus hat gezeigt, dass die Polizei super gearbeitet hat, sehr verhältnismäßig. Natürlich musste sie den gesetzmäßigen Zustand herstellen, und das war auch richtig. Aber ich habe dennoch ein großes Verständnis für die Demonstranten.
Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Baustellen in Vorarlberg?
Die allergrößte Baustelle ist die Teuerung. Wir brauchen aber auch einen Ausbau an Kinderbetreuungsplätzen und viel mehr Wohnungen für junge Menschen. Da gibt es ganz viele Ansätze. Ganz wichtig ist mir auch: Wir haben 96 Gemeinden in Vorarlberg, und diese 96 Gemeinden brauchen finanzielle Mittel, um ihre Aufgaben bewältigen zu können. Geht es der Gemeinde gut, geht es den Bürgern der Gemeinde gut. Dann werden die Kanalgebühren, die Wassergebühren, die Friedhofsgebühren, die Musikschulgebühren und und und nicht erhöht. In den Gemeinden werden die Kinderbetreuungseinrichtungen gebaut, zudem sind sie die Schulerhalter. Sie haben unglaublich große Aufgaben vor sich.
Sie sind nicht nur designierter SPÖ-Chef, sondern auch Bludenzer Stadtpolizeikommandant. Es gab die Diskussion: Was kann ein Stadtpolizeikommandant oder früher stellvertretender Kommandant politisch machen und was nicht?
Für mich ist klar: Ich bin jetzt in einem Ehrenamt tätig, bekomme keinen Salär. Ich mache Politik, wie ich sie auch sechs Jahre als Vizebürgermeister von Bludenz gemacht habe, mit großem Engagement, mit großer Freude und natürlich in der Freizeit. Das ist auch verfassungsmäßig so geschützt.
Muss sich der Bludenzer Bürgermeister Simon Tschann Sorgen machen, dass sonstige Tätigkeiten Ihre Arbeitsleistung als Polizist beeinflussen könnten?
Nein. Ich glaube, dass ich das gut unter den Hut bringe. Ich bin gerne bei den Menschen. Das würde ich vielen Politikern empfehlen: das Ohr bei den Menschen zu haben.
Wir müssen auch über den Bund sprechen. So mancher hat mitgelitten mit der SPÖ. Andere haben sich gewundert, wie viele Pleiten, Pech und Pannen innerhalb kurzer Zeit auftreten können. Wie ging es Ihnen denn mit der Bestellung von Andreas Babler zum neuen Parteichef?
Gelitten habe ich nicht, aber ich habe mich auch selbst oft gewundert, wie man sich so vieles über Monate hinweg über die Medien ausrichten kann. Sie haben am Beispiel Vorarlberg gesehen: Wir haben das ruhig, gemäßigt und korrekt abgewickelt. Dass es so gelaufen ist wie in Wien, bedauere ich sehr. Andreas Babler versucht nun, die Partei wieder zu einen. Das wird gelingen. Aber natürlich, so etwas tut nie gut. Das wollen wir alle nicht.
Wie stehen Sie zu der von Babler geforderten 32-Stunden-Woche?
Es muss niemand glauben, dass innerhalb der nächsten ein, zwei, drei, vier Jahre auf 32 Stunden reduziert wird. Das geht nicht. Das war auch bis 1975 nicht so, als man von 45 auf 40 hinuntergegangen ist. Mir ist wichtig, dass es ein gesetzliches Grundgerüst gibt, in dem die Rahmenbedingungen festgelegt sind, seien es 40 Stunden, 37 Stunden, wie auch immer. Dann ist es wichtig, dass die Tarifpartner, die Gewerkschaften mit der Wirtschaft, in den einzelnen Branchen verhandeln. Wenn man das in einer Kaskade benennen will: zuerst eine gesetzliche, stabile Grundlage, zweitens die Kollektivverträge. Der dritte Bereich sind die Betriebsvereinbarungen, die vierte Säule Einzelvereinbarungen.
Wie halten Sie denn eigentlich von der „Millionärssteuer“, wofür sich der Bundesparteivorsitzende ebenfalls stark macht?
Ich habe bereits mit Andreas Babler darüber diskutiert. Ich glaube, dass es eine Vermögenssteuer braucht. Aber mit Mario Leiter ist nicht verhandelbar: Es wird in Vorarlberg niemanden treffen, der ein Häusl gebaut hat. Man muss sich die Liegenschaftsbewertungen anschauen, die Achse zwischen Westen und Osten. Wenn man von mir aus auf drei oder fünf Millionen hinaufgeht, dann trifft es keinen Vorarlberger Häuslbauer. Amazon und so weiter, die ganz großen Industrieunternehmen, die hier nicht einmal einen richtigen Standort haben und keine Steuern zahlen, sollen das zahlen, nicht Vorarlberger Häuslbauer.
Das Leben in unserem Land ist einfach, und das möchte ich als Vorarlberger sagen, sauteuer geworden. Das darf nicht mehr sein. Da kann die Politik mehr machen. Unser Land kann es besser.

Zur Person
Mario Leiter
Designierter neuer Landesparteivorsitzender der SPÖ Vorarlberg
Geboren 27. Juli 1965 in Bludenz
Laufbahn Seit 1985 für Stadtpolizei tätig, 2015 Einstieg in Gemeindepolitik, bis zum Frühjahr 2021 Vizebürgermeister von Bludenz.
Familie Verheiratet, Vater eines Sohnes