Normalo Nehammer
Statt einer Diskussion darüber, warum wir immer noch so viel Gas aus Russland beziehen, warum Kinderbetreuung (vor allem in den Ferien) immer noch ein Theater sein muss, warum die Inflation bei acht Prozent pickt, während sie in Deutschland, Italien, aber auch in der Eurozone (5,5 Prozent) deutlich darunter liegt, diskutiert dieses Land seit zwei Wochen also darüber, was „normal“ ist.
Weshalb? Weil der Kommunikationsberater Gerald Fleischmann dies für seinen Chef, Kanzler Karl Nehammer, ersonnen hat und glaubt, dass die Konzentration aufs Normale für die ÖVP vorteilhaft ist. Fleischmann beriet schon Sebastian Kurz, konstruierte dessen Kommunikationsmaschine, die angeblich so makellos strahlte. Bis heute wird er von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt, da er im Verdacht der Untreue und Bestechlichkeit steht. Und nun ist deutlich spürbar, unter anderem an der Normal-Kampagne, dass Fleischmann im Kanzleramt wieder ein- und ausgeht. Seit Herbst des Vorjahres werkt er als Kommunikationschef der ÖVP. Und jene ÖVP macht er glauben, als „normale Partei“ die Wahl 2024 gewinnen zu können. Nicht nur der aufbrandende Wahlkampf zeigt: Die Wahl könnte im Herbst stattfinden, Minister beider Regierungsparteien sprachen dieser Tage auch oft über mögliche Nationalratswahltermine im Umfeld der Europawahl im Juni 2024.
Nehammer möchte sich abgrenzen von der destruktiven Kickl-FPÖ. „Normal” sollen laut ÖVP ordentliche, arbeitsame Menschen sein. Jene, die Gendern überflüssig, Elektroautos komisch und Alltagsradfahrer ein bisschen militant finden. Wie früher, normal halt.
Normal, Herr Bundeskanzler, wäre, zu reflektieren, wenn der Bundespräsident sorgenvoll herausstreicht, wie gefährlich es ist, die Welt in ,normal’ und ‘abnormal’ einzuteilen. Karl Nehammer hat mit der trotzig-patzigen Sofort-Reaktion auf Alexander Van der Bellens hervorragende Bregenz-Rede, dass er es trotzdem normal fände, weiter „normal“ zu sagen, gar alles Staatsmännische abgelegt. Es spricht ein Parteichef auf Stimmenfang, vermisst wird der Bundeskanzler.
Fleischmann will seinem Auftraggeber mit der Normal-Kampagne Ecken und Kanten schnitzen, die Nehammer bislang schlicht und einfach vermissen lässt. Kurz war in jeder Hinsicht außergewöhnlich, Nehammer einfach ein Normalo.
Dabei ist Normalität, nach Jahren der Ausnahme- und Krisensituationen, durchaus Sehnsucht geworden. Dies war, deutlich geschickter und nicht ausgrenzend formuliert, in der Volkspartei stets wichtiges Thema. Der ehemalige Vorarlberger Landeshauptmann Herbert Sausgruber agierte – wie er selbst sagte – “mit Hausverstand und bodenständig”. Nehammer versteift sich auf seine Normenlehre. Zwischenzeitlich erklärt er in Internetfilmen die ÖVP-Definiton: „Ich sage euch, wer nicht normal ist.“
Selbst der Bundeskanzler in Österreich fürchtet sich so vor dem kreischenden Kickl, dass er sich als Regierungschef ein Jahr vor dem eigentlichen Wahlkampf auf billige Partei-PR einlässt. Die Parteien schielen auf die FPÖ, vorrangig auf deren Wähler. Umfrage-Prozent für Umfrage-Prozent soll Mitte-Rechts zurückerobert werden.
Die ÖVP könnte als Regierungspartei die Mitte durchaus mit Lösungen überzeugen, anstatt sprachliche Symbolpolitik zu betreiben. Die Senkung der Inflation ist ein monatlicher Wert, an dem man den Erfolg der Regierungsarbeit messen kann.
Die Angst der Regierenden vor Kickl bringt uns nicht weiter. Es wäre nicht das erste Mal diesen Sommer, dass sich ein vermeintlich gefährlicher Löwe bei genauerem Hinschauen nur als Wildschwein entpuppt.
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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