Flashmob statt Jakobsweg

Barbara Bayer lädt am Mittwochmittag zum spontanen Tanzen auf den Kornmarktplatz ein.
BREGENZ „Hoffentlich spielt das Wetter am Mittwoch mit.“ Besorgt checkt Barbara Bayer am Handy die Wettervorschau. Denn diesen Mittwoch um 12 Uhr veranstaltet die 78-jährige Pensionistin auf dem Kornmarktplatz in Bregenz einen Flashmob und lädt alle Passanten ein, mitzumachen.

Bei dieser spontanen Versammlung von Menschen an einem öffentlichen Ort passiert Ungewöhnliches, Auffälliges. Meistens wird getanzt. Barbara Bayer lässt bei ihrem Flashmob drei Musikstücke abspielen: „The Wanderer“, „Achy Breaky Heart“ sowie einen griechischen Song. „Ich fange an zu tanzen, und immer mehr Leute sollen dazustoßen“, fordert sie auf. Sie hält sich an ihre bevorzugte Tanzform Line Dance, „doch jeder soll tanzen wie er will“.
Die Idee entstand vor etwa einem halben Jahr, nachdem sie sich im Internet öfters Flashmobs angeschaut hatte. Neulich entschied sie, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die Idee zu realisieren. „Man weiß ja nie, wie lange man so etwas machen kann“, betont die Seniorin, die durch schmerzliche Erfahrungen gelernt hat, wie schnell sich das Leben ändern kann.

Die ursprünglich aus der südwestdeutschen Stadt Weil am Rhein stammende Schneiderin und Bürokauffrau ist 1975 der Liebe wegen in Vorarlberg gelandet. Ihren späteren Ehemann hat sie damals während eines Skiurlaubs in Damüls kennengelernt: „Die Liebe ist inzwischen erkaltet, aber ich bin hiergeblieben.“
Der erste Schicksalsschlag traf sie 1988 mit voller Wucht. Ihr älterer Sohn kam bei einem Autounfall ums Leben. Er war 22 Jahre alt.
Vor drei Jahren erhielt sie die Diagnose Morbus Parkinson. „Ich habe selber bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt, als meine rechte Hand zu zittern begann“, erinnert sie sich. Die medikamentöse Behandlung hilft, die Beschwerden dieser Erkrankung des Nervensystems zu lindern.

Erneut schlug das Schicksal am 9. Dezember 2021 unbarmherzig zu. Barbara Bayer hatte drei Freundinnen zum Fondue-Essen eingeladen. Beim Anzünden des Gasbrenners gab es eine Stichflamme, die einen Wohnungsbrand auslöste. Eine der Freundinnen blieb unverletzt, zwei kamen leichtverletzt davon. Die Gastgeberin hingegen erlitt schwere Brandwunden im Brustbereich, im Gesicht und an den Händen. Die Folgen waren Hauttransplantationen und ein langer Spitalsaufenthalt. „Bei einer Visite sagten Ärzte zu mir, ich habe ein kostenloses Lifting bekommen“, erzählt Barbara Bayer mit Humor. Den hat sie trotz der dramatischen Umstände nicht verloren.
Das Feuer hatte ihre Wohnung zerstört. So musste sie sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nach einer Bleibe umschauen. Eine ehemalige Arbeitskollegin vom Sozialamt der Stadt Bregenz – dort hat Barbara Bayer zuletzt bis zur Pensionierung gearbeitet – überließ ihr ihre Wohnung bis zur Fertigstellung der Renovierungsarbeiten.

Die Brandwunden sind zwar verheilt, aber die Narben „ziehen“ noch immer, und den Kopf drehen, strengt Barbara Bayer ziemlich an. „Ich habe mich jedoch an diesen Zustand gewöhnt“, sagt sie. „Es hätte nämlich viel schlimmer kommen können.“
Mit dieser positiven Einstellung geht sie längst wieder ihren Beschäftigungen nach, etwa als Kassierin und Schriftführerin der 1945er-Jahrgänger. Außerdem singt sie in zwei Kirchenchören und ist passionierte Puzzlerin.

Den Flashmob morgen Mittag gönne sie sich als „einen speziellen Moment für mich als kleine Pensionistin“, aber auch um sich einfach frei zu fühlen und andere an diesem Gefühl teilhaben zu lassen: „Die einen gehen den Jakobsweg, ich mache einen Flashmob.“
ZUR PERSON
BARBARA BAYER
GEBOREN 1. Mai 1945
WOHNORT Bregenz
BERUF Schneiderin, Bürokauffrau, Pensionistin
FAMILIE Single, Mutter von zwei Söhnen (der ältere starb 1988)
MOTTO Positiv denken
FLASHMOB Mittwoch, 26. Juli 2023, 12 Uhr, Kornmarktplatz Bregenz