Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Aus heiterem Himmel

Vorarlberg / 25.07.2023 • 19:52 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Aus heiterem Himmel fragte mich meine Freundin, ob ich wisse, dass Elsa in der Psychiatrie sei. Gerade heute morgen hatte ich an sie gedacht.

„Und?“, fragte ich, „hast du sie schon besucht?“

Elsa lehnte Besuche ab. Sie arbeitete in der Anstaltsküche, und ihre Spezialität waren Zopfmäuse. Die stellte sie mit so einer Geschwindigkeit her, dass man sich nur wundern konnte, und sie schmeckten vorzüglich. Man fühlte sich wie ein Kind, wenn man sie aß. Es hieß, an ihr sei eine Bäckerin verloren gegangen.

So wie ich mich an Elsa erinnere, war sie mir immer ein wenig unheimlich gewesen. Nämlich, weil sie etwas wusste, bevor es geschehen war. Sie sagte, ich hätte einen Engel in der Familie. Erst später wurde mir klar, was sie damit gemeint hatte, als ein Kind von uns gestorben war. Sie wusste, dass Krieg sein würde, irgendwo auf der Welt.

Ich sagte, das weiß jeder, Krieg ist immer und überall auf der Welt. Aber sie meinte den Krieg in der Ukraine, der in zehn Jahren stattfinden würde, zehn Jahre ungefähr. „Nagle mich nicht fest“, sagte sie.

Sie war uns nicht geheuer. Ich fragte, „wann lerne ich einen Mann kennen, für den es sich lohnt“. Und sie sagte: „Zuerst wirst du einen Mann haben, für den es sich nicht lohnt, erst dann findest du den zweiten, für den es sich lohnt.“ Wieder hatte sie recht.

Als sie ihrem Freund, der sie heiraten wollte, sagte, sie würde im Irrenhaus landen, und es lohne sich nicht, sie zu ehelichen, zog er sich zurück. Nur Schwierigkeiten. „Sich lohnen“ war ihre Lieblingsformulierung. Ich merke an mir, dass ich das auch oft sage, so als ob es eine Belohnung gebe. Es war eine Zeit, da sprach sich herum, Elsa könne Krankheiten voraussagen, und ob man sie überleben werde. Autos hielten vor dem Block, in dem sie wohnte. Menschen, die sie nicht kannten, stiegen aus, um etwas zu erfahren. Sie wollten nur Gutes hören. Da fing Elsa an, wie sie mir einmal sagte, Gutes zu erfinden, wenn sie Schlechtes sah. Sie werden es nicht ahnen, aber das hatte einen Placebo-Effekt. Die Krankheiten, die sie bei diesem und jenem gesehen hatte, verzögerten sich. Schlussendlich passierte doch, was passieren musste. Sie starben, aber zumindest hatten sie nicht gewusst, dass sie sterben würden, so bald. Meiner Freundin prophezeite sie einen Mann, der sie vergöttern würde, in Wirklichkeit hatte sie einen, der sie betrog.

Das ist die Geschichte von Elsa, und ob Sie es mir glauben oder nicht, sie bäckt nach wie vor ihre Teigmäuse und weiß von sich, dass sie hundert Jahre alt werden wird.

„Ich fragte, ,wann lerne ich einen Mann kennen, für den es sich lohnt.‘“

Monika Helfer

monika.helfer@vn.at

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.