„Aus jetziger Sicht kein Problem“

Schweiz will sich an „Sky Shield“ beteiligen: Vorerst ist das mit der Neutralität vereinbar.
SCHWARZACH Die Welt ist klein. Das bestätigt sich bei der Suche nach einem Völkerrechtsexperten in der Schweiz, der sich zu einem allfälligen Spannungsverhältnis zwischen Neutralität und dem europäischen Luftverteidigungssystem „Sky Shield“ äußert. Auf eine Empfehlung aus Lausanne landen die VN bei Andreas Müller, der eine Professur an der Universität Basel inne hat. Das Gespräch mit ihm kann in gewohntem Dialekt geführt werden. Müller, Jahrgang 1977, ist in Lustenau geboren und in Feldkirch aufgewachsen.
Wie Österreich hat die ebenfalls neutrale Schweiz die Absicht, sich an „Sky Shield“ zu beteiligen. Die politische Debatte sei dort jedoch „bei Weitem nicht so erregt wie in Österreich, sondern eher etwas abwartend“, so Müller.
Kein Problem
Sieht man denn keinen offensichtlichen Widerspruch? Der Völkerrechtler ortet keinen: „Aus jetziger Sicht ist „Sky Shield“ neutralitätsrechtlich kein Problem. Aus zumindest drei Gründen: Zunächst liegen ausschließlich Absichtserklärungen vor. Außerdem haben die Schweiz und Österreich bei der Gelegenheit ausdrücklich festgehalten, als neutrale Staaten an Sky Shield teilnehmen zu wollen. Darüber hinaus ist die Schweiz stärker als Österreich hauptsächlich an einer gemeinsamen und damit günstigeren Beschaffung von hochkomplexem Militärmaterial sowie an einem Informationsaustausch interessiert. Wobei es keine Verpflichtung geben darf: Wenn man andere mit militärisch relevanten Informationen versorgen müsste, könnte das zu weit gehen bzw. zu einem Konflikt mit der Neutralität führen.“
Gute Gründe, achtsam zu sein
Entscheidend ist laut Müller, wie „Sky Shield“ am Ende ausschauen wird. Und dabei scheinen sich Österreicher, die sich Sorgen um die Neutralität machen und ihrer Regierung misstrauen, auf die Eidgenossen verlassen zu können. Der dortige Bundesrat (Regierung) hat gute Gründe, achtsam zu sein: Da wie dort wird ein völkerrechtlicher Vertrag, in dem alles geregelt ist, letztlich dem Parlament und in der Schweiz womöglich auch dem Volk vorgelegt werden müssen, wie Müller ausführt: „Daher ist davon auszugehen, dass der Bundesrat sehr genau darauf achtet, dass das Ganze mit der Neutralität vereinbar sein wird.“ Sonst würde es kaum eine Mehrheit dafür geben.
Gemeinsame Kommandozentrale
Zu behaupten, „Sky Shield“ und die Neutralität werden auf jeden Fall vereinbar sein, geht zu weit. So könnte eine gemeinsame Kommandozentrale, von der aus die Luftverteidigung gesteuert wird, kritisch sein. „Das wäre neutralitätsrechtlich wirklich ein Thema“, so Müller: „Wobei es darauf ankommen wird, was das heißt: Kann ein beteiligter Staat im Falle des Falles ein Veto einlegen, gibt es ein „Opting-out“ (eine Möglichkeit, nicht mitmachen zu müssen; Anm.)? Für eine Kommandozentrale, in der im Ernstfall über alle hinweg entschieden wird, oder einen Automatismus wäre die Schweiz nicht zu haben. Das wäre ein partielles Verteidigungsbündnis, das sich auf die Luftabwehr bezieht.“
Souveräner Staat
Ohne zu zögern geht der gebürtige Vorarlberger auf mögliche Szenarien im Ernstfall ein: Was wäre zum Beispiel bei einer Rakete über eidgenössischem Boden, die für ein Ziel in Frankreich bestimmt ist? „Vereinfacht ausgedrückt gilt für die Schweiz, dass sie sich als souveräner Staat dazu verpflichtet, ihr Territorium zu schützen. In Bezug auf einen Flugkörper, der in ihr Territorium eindringt, hätte sie daher jedes Recht, ihn abzufangen. Dabei spielt es keine Rolle, welches Ziel er hat“, antwortet Müller und fügt hinzu, dass der Schweiz dann niemand einen Vorwurf machen könnte. Sie würde ausschließlich auf eine Souveränitätsverletzung reagieren. Anders ausgedrückt: Man könnte ihr nicht unterstellen, in einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten Partei zu ergreifen. JOH
„Die politische Debatte ist nicht so erregt wie in Österreich, sondern eher etwas abwartend.“