Fehlende Lernbereitschaft

Politische Verhinderungsversuche gegenüber unaufhaltsamen Entwicklungen durch die Vorarlberger Landesregierungen und die Verwaltung haben eine lange Geschichte. Das 20. Jahrhundert bietet eine Reihe von Beispielen, in denen Fehlentwicklungen politisch heftig und bisweilen stur forciert und dann kleinlaut wie missratene Kinder weggelegt wurden. Ein solch besonders unrühmliches Beispiel war die Kriegstreiberei im Sommer 1914, in welcher die konservative Landesregierung den Reichsratsabgeordneten Franz Loser durchs ganze Land schickte, um für den Krieg zu begeistern und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Bis ins Frühjahr 1918 wurde zur Zeichnung von Kriegsanleihen aufgerufen.
Als der Krieg im November 1918 im Fiasko endete, suchten die ehemaligen Kriegstreiber Sündenböcke, statt ihre Mitverantwortung zu überdenken. Und statt nun pazifistische Haltungen zu unterstützen, ließ der Landeshauptmann 1927 den Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ verbieten.
„Bodenständige Lehrer“
Viele Fehlentscheidungen waren aber von weit geringerer Tragweite, und sie wurden in der Regel von den faktischen Entwicklungen einfach überrollt. So etwa das Rundschreiben des Landesamtsdirektors von 1955 – obwohl 150 Lehrer(innen)stellen unbesetzt waren – keine innerösterreichischen Lehrkräfte zu beschäftigen, „da nur bodenständige Lehrer ihrer Erziehungsaufgabe gerecht werden können“. Heute versucht die Vorarlberger Bildungsdirektion im Burgenland fehlendes pädagogisches Personal anzuwerben.
Legendär sind die zahlreichen Eingriffe der Regierung in kulturelle Produktionen; Maßnahmen, die hier nicht mehr aufgezählt werden sollen, weil sie bald nach ihrer Setzung nur noch ungläubiges Kopfschütteln verursachten. Erwähnt sei aber aus Gründen der Analogie doch das Verbot eines Open-Air-Konzerts auf der Neuburg. Nachdem im Sommer 1970 ein erstes Konzert ohne Probleme im Vorfeld und im Nachgang stattgefunden hatte, verwehrte die Landesregierung eine Zweitauflage 1971 mit dem Argument des Landschaftsschutzes, obwohl das Verbot von moralischen Bedenken diktiert war. Wie wichtig der Regierung der Schutz der Natur war, konnte man zur selben Zeit in nächster Nähe beobachten: Für den Autobahnbau wurden keine Grashalme geknickt, sondern ein halber Berg abgetragen. Open-Air-Festivals sind mittlerweile ein fixer Bestandteil nicht nur der Jugendkultur geworden.
Autofreies Ried
Ob aber die aktuellen politischen Akteure daraus Lehren gezogen haben, bleibt angesichts der jüngsten juristischen Volte fraglich: Im Sommer 2021 fand im Lauteracher Ried ein friedliches, freudiges Fahrrad-Familie-Fest statt. Vom Amt der Landesregierung anstandslos genehmigt. Ein gleichlautendes Ansuchen wurde von derselben Behörde für 2022 abgelehnt und der Bescheid vom Verwaltungsgericht eilfertig bestätigt. Es brauchte den Verfassungsgerichtshof in Wien, um dieses Urteil im Sommer 2023 als nicht rechtskonform aufzuheben.
Auch gegen eine Sperre der Riedstraße für Autos an Wochenenden – obwohl von den Standortbürgermeistern gefordert – wird nach wie vor gemauert. Man setzt lieber auf die ausländischen GPS-Abkürzer als auf die heimischen Radfahrer(innen). Ihnen gehört allerdings die Zukunft – und sie werden dereinst mit Vorrang und ohne Gefahr durchs Ried fahren, ob es einer autofixierten Verkehrspolitik passt oder nicht.
Das Vorhaben, Lustenau zwischen dem Rhein und einer Autobahn einzusperren, wird man später einmal so absurd finden wie die Pläne der 1950er-Jahre, in Höchst-Gaißau einen Flugplatz zu errichten oder den Rhein von Fußach bis Rotterdam schiffbar zu machen. Die Geschichte wäre ein weites Feld, um aus Fehlern lernen zu können! Vorausgesetzt es besteht Lernbereitschaft.
Meinrad Pichler ist Historiker und pensionierter
Gymnasialdirektor