Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Von Verachtung und Zorn

Vorarlberg / 21.08.2023 • 15:00 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Die leise wachsende Verachtung und die Entfremdung, die Zusehende in Jean-Luc Godards Meisterwerk „Le Mépris“ zwischen Brigitte Bardot und Michel Piccoli beobachten können – der Film erzählt die Geschichte einer Verachtung so kühl wie beeindruckend in starken Elementarfarben, blau, rot, gelb. Die tägliche Verachtung und das Heruntermachen der anderen, die Zusehende in klassischen Medien und auf Social-Media-Plattformen erleben – sie hat hingegen keine Geschichte, weil plumpe Herabwürdigung keine Erzählung braucht. Eine Verächtlichkeit, eine Fremdheit, die zwischen Politik und Medien spürbar sind, zwischen Politikbetreibenden unterschiedlicher Parteien, zwischen Menschen verschiedener Milieus.

„Keiner von uns ist Jesus, zumindest das ist gewiss, und man sollte die eigene Wut nicht mit heiligem Zorn verwechseln.

Anerkennung oder Empathie, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation wichtig wären, hebt man sich für den eigenen, engen Kreis auf – Verachtung auch als hilflose Reaktion auf eine Welt, die immer schneller wird, die man vielfach nicht versteht, so wie man den anderen nicht versteht. Zu dieser unschönen allgemeinen Verächtlichkeit mischt sich eine omnipräsente Wut. Wutbürgerin oder Wutbürger, wir kennen diese holzschnittartigen Boulevard-Bezeichnungen, sobald sich jemand öffentlich lautstark äußert. Doch nach der Pandemie und ihren Verwerfungen, seit dem Krieg in der Ukraine und seinen Auswirkungen sind tatsächlich viele Menschen sehr wütend.

Der „heilige Zorn“

Es ist eine reine, leicht entflammbare Wut, die manchmal schnell ins Destruktive kippen kann. Diese Emotionen prägen jetzt oft das Wesen der Kommunikation, mag der Ursprung der Aufregung manchmal auch verständlich sein. Wütende verwechseln dabei ihre Emotion gerne mit dem Bild des „heiligen Zorns“, der für eine höhere Sache brennt, der das Unrecht benennt, der für Gerechtigkeit auf Erden kämpft. Ein Bild, das sich aus der Bibel speist und im Alten Testament – Gott zürnt da regelmäßig – aber auch im Neuen Testament vorkommt. Sogar Jesus soll demnach im Anlassfall erzürnt gewesen sein, zum Beispiel als er die Händler aus dem Tempel in Jerusalem vertreibt.
Keiner von uns ist Jesus, zumindest das ist gewiss, und man sollte die eigene Wut nicht mit heiligem Zorn verwechseln. Die Liste der Konfliktfelder in der Gesellschaft wird leider immer länger, die grausige Mischung aus Verächtlichkeit und Furor immer gefährlicher. Dabei könnte dieser Gedanke vielleicht ein Ansatz für einen weniger emotionalen Austausch sein: Viele Anliegen haben ihre Berechtigung, viele Blickwinkel sind nachvollziehbar, wenn man sich ernsthaft in die Situation der anderen zu versetzen versuchte. Das wäre allerdings anstrengender, als nur die Irritation über die eigenen Probleme rauszuschreien.

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.