Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Verniederösterreicherung

Vorarlberg / 29.08.2023 • 19:36 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Den Abschluss der sommerlichen Betrachtung der Ausgangslage aller österreichischen Parteien vor dem Superwahljahr 2024 macht die Kanzler- und Landeshauptmannpartei ÖVP. Im Bund seit 37 Jahren in der Regierung, in Vorarlberg gar seit 1945 weitaus am stärksten: Die Volkspartei kann definitiv nicht Opposition und versucht diese mit allen Mitteln zu vermeiden. Keine Partei verkörpert derart das vermeintliche „System“, gegen das die Kickl-FPÖ Sturm läuft. Und doch fürchtet sich die andere Hälfte der Republik vor einer Neuauflage von Türkis-Blau aufgrund der inhaltlichen Schnittmengen.

Während Landeshauptmann Markus Wallner offensichtlich unbeschadet aus seiner Auszeit zurückgekehrt ist, bläst Kanzler Karl Nehammer inzwischen scharfer Gegenwind aus seiner Partei ins Gesicht. Der nicht für Populismus anfällige Anton Mattle stellt sich in Tirol gegen die Normalitätsdebatte und plädiert für eine Zusammenarbeit mit der in anderen Teilen der ÖVP so verhassten SPÖ. Sein steirischer Kollege Christopher Drexler lehnt öffentlich die Verankerung des Bargeldes in der Verfassung ab. Otmar Karas, dessen EU-Kandidatur wie immer noch nicht fix ist, muss sich öffentlich von Generalsekretär Christian Stocker maßregeln lassen.

Nehammers Problem für die kommenden Wahlen ist das hohe Ausgangsniveau. Die unter Sebastian Kurz erreichten 35 Prozent bei der EU-Wahl, 38 für den Nationalrat und 44 im Ländle sind schwer zu übertreffen. Manche Umstände entziehen sich komplett seiner Kontrolle, da kann der VP-Chef nur pokern: Ab 18. Oktober steht sein Vorgänger wegen Falschaussage vor Gericht. Ein Richter wird entscheiden, wer glaubwürdiger ist: Kurz oder sein ehemaliger Adlatus Thomas Schmid. Ein Freispruch wäre wohl der beste Wahlkampfturbo, aber auch aus einer Verurteilung ließe sich mit geschickter Täter-Opfer-Umkehr à la Trump politisches Kapital schlagen.

Im Stil erinnert die ÖVP immer noch an die alte neue Kurz-Partei. Daran kann auch das eilige Einberufen von Gipfeln nichts ändern. (Was wurde eigentlich aus der angekündigten Versöhnungstour?). Zu Scheindebatten gesellen sich Forderungen nach höheren Strafen für Klimaaktivisten, die Abschaffung der Kassenbelegspflicht oder ein peinlicher Stolz, dass Asylwerber nach Deutschland weiterziehen. Dafür gibt es Handshakes mit wenig demokratischen Staatschefs wie Aleksandar Vučić und Viktor Orbán.

Wie weit die ÖVP für den Erhalt ihrer Macht geht, zeigt sie besonders anschaulich in Niederösterreich mit Impfwerbungsverbot, Coronafonds und Abschaffung von gendersensibler Sprache. Von der Idee der alle(s) umarmenden Volkspartei bis zur ausgrenzenden Kulturkampfbewegung war es nur ein kurzer Weg. Doch wie hat Christoph Badelt, Wirtschaftsexperte, aber leider Nie-Wirtschaftsminister, den politischen Sommer zusammengefasst: „Leider wird nicht über Themen gesprochen, wo Überschneidungen da sind. Es wird eher über Themen gesprochen, wo die Differenzen da sind. Und das ist schade.“ Ja, das ist jammerschade.

„Wie weit die ÖVP für den Erhalt ihrer Macht geht, zeigt sie besonders anschaulich in Niederösterreich mit Impfwerbungsverbot.“

Kathrin Stainer-Hämmerle

kathrin.stainer-­haemmerle@vn.at

FH-Prof. Kathrin Stainer-Hämmerle, eine gebürtige Lustenauerin, lehrt Politikwissenschaften an der FH Kärnten.